Vorläufiges Protokoll der 94. Sitzung vom 26. April 2007 (2023)

94. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 26.April 2007

Beginn: 9.00 Uhr

* ** * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * ** * * * *

* ** * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * **

* ** * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * **

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen undKollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünscheIhnen einen guten Morgen und einen erfolgreichen Tag.

Zum heutigen Girls’ Day gratuliere ich allen Kolleginnenbesonders herzlich, natürlich auch den auf denZuschauertribünen und auf der Pressetribüne anwesendenDamen. Ich wünsche Ihnen nicht nur heute die bevorzugtfreundliche Behandlung, die Sie ohnehin verdienen und die Sie indiesem Hause auch meistens erhalten.

Ich habe die großeFreude, auf der Ehrentribüne eine Delegation des australischen Parlaments mit demParlamentspräsidenten, Herrn DavidHawker, an ihrer Spitze begrüßen zu dürfen.Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!

(Beifall)

Wir freuen uns über Ihren Besuch. Wirhatten bei unserem Gespräch am vergangenen Dienstag bereitsGelegenheit, unser gemeinsames Interesse an einer weiterenVertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unserenLändern festzuhalten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass IhrBesuch dazu beitragen wird. Für Ihren Aufenthalt und Ihrweiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere bestenWünsche.

Da wir gerade bei gutenWünschen und Gratulationen sind: Der Kollege Wolfgang Börnsen feiert heute seinen65.Geburtstag.

(Beifall)

Dazu gratuliere ich ihm im Namen des ganzenHauses herzlich. Es gibt eigentlich keine angemessenereMöglichkeit, diesen Geburtstag zu feiern, als dass alleMitglieder des Deutschen Bundestages zu einem solchen Anlasszusammentreten.

(Beifall des Abg. WolfgangBörnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) - Dr. Guido Westerwelle(FDP): Na, na! Da bin ich mir nicht so sicher!)

Es hat seit unserer letztenSitzung eine Reihe weiterer runder Geburtstage gegeben: Ihren60.Geburtstag feierten der Kollege Frank Spieth am 4.April,

(Beifall bei der LINKEN sowiebei Abgeordneten der FDP)

die Kollegin ChristelRiemann-Hanewinckel am 6.April und der KollegeAchim Großmann am17.April. Auch Ihnen nachträglich herzliche Gratulationund alle guten Wünsche!

(Beifall)

Die SPD-Fraktion hatmitgeteilt, dass der Kollege Stephan Hilsberg als stellvertretendesMitglied aus dem Vermittlungsausschuss und aus dem Gemeinsamen Ausschuss nach Art.53a desGrundgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger wird der KollegeKlaas Hübner vorgeschlagen. SindSie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Hübner zumstellvertretenden Mitglied des Vermittlungsausschusses und desGemeinsamen Ausschusses gewählt.

Die Fraktion desBündnisses90/DieGrünen teilt mit, dass dieKollegin Undine Kurth auf die Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukulturverzichtet. Als Nachfolger wird der Kollege Peter Hettlich vorgeschlagen. Sind Sie auch damiteinverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist der KollegeHettlich hiermit zum Mitglied des Stiftungsrates der BundesstiftungBaukultur gewählt.

Zum Ablauf der heutigenSitzung teile ich Ihnen mit, dass interfraktionell vereinbartwurde, die verbundene Tagesordnung umdie in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zuerweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangender Fraktion der LINKEN:

Haltung der Bundesregierung zu denAbsichten des Bundesministers des Innern, Dr. WolfgangSchäuble, im Zusammenhang mit dem sogenannten Kampf gegen denTerrorismus

(siehe 93. Sitzung)

ZP 2 Weitere Überweisungen imvereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 33)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jens Ackermann, Dr.Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiteren Abgeordneteneingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung desBetäubungsmittelgesetzes und anderer Vorschriften

- Drucksache 16/4696 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, UndineKurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Am Walfangmoratorium festhalten undWalschutz auf der IWC stärken

- Drucksache 16/5105 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel,Wolfgang Gehrcke, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKEN

Eintreten für die Beendigung der vonden USA auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegenKuba

- Drucksache 16/5115 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN

Die Bedrohung der Meeresumwelt durchUnterwasserlärm stoppen

- Drucksache 16/5117 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangender Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:

Meinungs- und Demonstrationsfreiheit inRussland in Gefahr

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, SevimDagdelen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derLINKEN

Für Humanität undMenschenrechte statt wirtschaftlicher ?Nützlichkeit“ alsGrundprinzipien der Migrationspolitik

- Drucksache 16/5108 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto(Frankfurt), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP

Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- undWachstumsbranche in Europa stärken

- Drucksache 16/5101 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Finanzausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst,Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Allgemeine Grundsätze für den Naturschutz inDeutschland

- Drucksache 16/3099 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, DanielBahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

Nichtraucherschutz praktikabel und mitAugenmaß umsetzen

- Drucksache 16/5118 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Lenke,Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

Sofortprogramm für mehrKinderbetreuung

- Drucksache 16/5114 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss

Von der Frist für denBeginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichenwerden.

Die Tagesordnungspunkte27b und 30 werden abgesetzt. Können wir auch hierzuEinvernehmen feststellen? - Das sieht so aus. Ich bedanke mich.Dann ist das so beschlossen.

Nun kommen wir zu denTagesordnungspunkten 4a bis 4h:

a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung

Klimapolitik der Bundesregierung nach denBeschlüssen des Europäischen Rates

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, AngelikaBrunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Solares Unternehmertum in Deutschland -Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen

- Drucksache 16/3355 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, AngelikaBrunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Internationale und europäischeKlimaschutzoffensive 2007

- Drucksache 16/4610 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,Hans-Josef Fell, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Stromeinsparung voranbringen

- Drucksache 16/4760 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Hans-Kurt Hill,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Nationales Sofortprogramm undverbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen

- Drucksache 16/5129 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
Haushaltsausschuss

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts desAusschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(16.Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. ReinhardLoske, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Für eine radikale und konsequenteKlimapolitik

- Drucksachen 16/3283, 16/4766 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Reinhard Loske

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts desAusschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit(16.Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten EvaBulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, weitererAbgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Klares Signal für dieKyoto-II-Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Nairobisetzen

- Drucksachen 16/3026, 16/4767 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Frank Schwabe
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Dr. Reinhard Loske

h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts desAusschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(15.Ausschuss)

- zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz Heilmann, EvaBulling-Schröter, Dorothée Menzner, weitererAbgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Trendwende beim Klimaschutz im Verkehr -Nachhaltige Mobilität für alleermöglichen

- zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. ReinhardLoske, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Wirksame Klimaschutzmaßnahmen imStraßenverkehr ergreifen

- Drucksachen 16/4416, 16/4429, 16/5135 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Andreas Scheuer

Nach einerinterfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache im Anschluss andie Regierungserklärung 90Minuten dauern. - Auch dazuhöre ich keinen Widerspruch.

Das Wort zur Abgabe einerRegierungserklärung erhält nun der Bundesministerfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, SigmarGabriel.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sigmar Gabriel,Bundesminister für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Die Überschrift der heutigen Regierungserklärung derBundesregierung lautet: Klimaagenda 2020.

Tatsächlich bedeutetdie Umsetzung der europäischen Klimaschutzziele nichts wenigerals den grundlegenden Umbau derIndustriegesellschaft. Wenn wir für eine von6,5Milliarden Menschen auf über 9MilliardenMenschen wachsende Weltbevölkerung bis zur Mitte diesesJahrhunderts Güter und Dienstleistungen mit der halben Mengean Treibhausgasemissionen bereitstellen wollen, dann erfordert daseinen Quantensprung in der Entwicklung der Industriegesellschaft.Wir müssen zum Beispiel die Energieeffizienz unsererVolkswirtschaft in Zukunft statt wie bisher um 1Prozentjährlich um 3 Prozent pro Jahr steigern. Nur mit einerambitionierten Steigerung der Energieeffizienz und einem massivenAusbau der erneuerbaren Energien können wir dieKlimaschutzziele erreichen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Damit wird aber auchdeutlich, dass es nicht um eine defensive Strategie oder gar umeine Verzichtsmoral gehen kann. Große Teile derWeltbevölkerung leben in Armut. Ihnen eine Verzichtsethik derReichen im Norden zu empfehlen, würde dort als eine neue Formdes Kolonialismus verstanden.

(Beifall der Abg. EvaBulling-Schröter (DIE LINKE))

Wir müssen Forschungund Entwicklung vielmehr offensiver voranbringen, unsereProduktionsprozesse auf den Prüfstand stellen, neue Produkteund Dienstleistungen entwickeln und innovative Verkehrskonzepteerarbeiten. Hier sind wir in den letzten Jahren im internationalenVergleich deutlich zurückgefallen. Während Japan heutepro Kopf über 30Dollar für die Energieforschungeinsetzt, liegen wir in Deutschland bei mageren 6,20Dollar.Das muss sich ändern. Deshalb wird die Bundesregierung denSchwerpunkt Energieforschung weiter verstärken. Sie erwartetvor allen Dingen auch von der Wirtschaft ein vergleichbaresEngagement.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Ich freue mich daher, dassdie Kollegin Ministerin Schavan hier neue Schwerpunkte setzt undzudem ein breit angelegtes Klimaforschungsprogramm auflegt. Dafürstehen in den kommenden drei Jahren im Haushalt des BMBF255Millionen Euro zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Zu den neuen Schwerpunktengehören insbesondere die Abscheidung und Speicherung von CO2bei Kohlekraftwerken. Nur so hat die Stromerzeugung aus Kohle inDeutschland, in China und weltweit langfristig eine Chance.Für diese Innovationsstrategien müssen wir auch die Ideedes technischen Fortschritts neu entdecken, durch den nicht blind,sondern orientiert am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung einentscheidender Beitrag geleistet werden kann. Dieses Konzept istalso das Gegenteil von ?Weiter so!“. Es verkörpert denWind of Change, den unser Land zum Erreichen der Klimaschutzzielebraucht.

Für diesen Umbau derIndustriegesellschaft brauchen wir vor allem die Menschen inunserem Land. Hier meine ich vor allem die jungen Menschen. Sie müssen wir wirklichbegeistern. Auf ihre Talente, ihre Kreativität und ihrEngagement - das Engagement der jungen Generation in Deutschland -müssen wir setzen. Unsere Aufforderung muss deshalb lauten:Entwickelt neue Ideen, Konzepte, Technologien, Produkte undVerfahren, studiert Ingenieurwissenschaften, beteiligt euch andiesem Wettbewerb; denn euch gehört die Zukunft!

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN und des Abg. Dr.Guido Westerwelle (FDP))

Meine Damen und Herren, dieStaats- und Regierungschefs haben unter Führung derBundeskanzlerin einen wirklich historischen Beschluss der EU über die zukünftigeKlimapolitik gefasst. Mit diesem historischen Beschluss wird mitder Integration von Energie- und Klimapolitik erstmals Ernstgemacht und werden ambitionierte Klimaschutzziele mitweitreichenden Maßnahmen verknüpft.

Danach ist dieEuropäische Union bereit, die Treibhausgasemissionen bis 2020im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 30Prozent zu vermindern,sofern andere Industrieländer zu vergleichbaren Minderungenbereit sind. Im Vorgriff auf internationale Verhandlungenverpflichtet sich die Europäische Union schon jetzt, dieEmissionen um mindestens 20Prozent zu senken. In demBeschluss der EU werden neben diesen beiden Zielen auch die beidenwichtigsten Maßnahmen genannt: Bis 2020 soll dieEnergieeffizienz um 20Prozent gesteigert werden, und derAnteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauchsoll bis zu diesem Zeitpunkt auf 20Prozent gesteigert werden.Das ist ein anspruchsvolles und rundes Paket, das weltweitseinesgleichen sucht.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie des Abg. Dr.Guido Westerwelle (FDP))

Das ist die Messlatte, die dieEuropäische Union angelegt hat und an der auch wir inDeutschland uns messen lassen müssen. Die harten Fakten zeigen, wie weit wir noch von diesenanspruchsvollen Zielen entfernt sind. Wir liegen heute in derKlimabilanz im Bereich der Treibhausgase gegenüber demBasisjahr 1990 bei einem Minus von 18Prozent. Keine Frage,das ist beachtlich. Kein anderes westliches Industrieland kann eineähnlich positive Bilanz vorweisen. Zur Wahrheit gehörtaber auch, dass wir im letzten Jahr um 0,7Prozentzurückgefallen sind, statt uns weiter auf unser21-Prozent-Ziel für das Jahr 2012 zuzubewegen. Wir sind heutenoch 3Prozent von unserem Klimaschutzziel für diePeriode 2008 bis 2012 entfernt. Es fehlen uns etwa37Millionen Tonnen an eingesparten Treibhausgasen, um unserenBeitrag zum Kiotoprotokoll zu erbringen.

Die Ursachen liegen klar auf der Hand. Weder hat diedeutsche Wirtschaft ihre Zusagen zum Ausbau derKraft-Wärme-Kopplung erfüllt, noch war derEmissionshandel erfolgreich. Im Gegenteil: In der erstenHandelsperiode wurden zu viele Emissionsrechte an Energiewirtschaftund Industrie kostenlos verteilt, sodass der Zertifikatspreis heutebei ganzen 61Cent liegt. Von einem solchen Preis gehenwahrlich keine Impulse zur Modernisierung der Stromversorgung undder industriellen Produktion aus.

(Beifall bei der SPD und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSUund der Abg. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE))

Nun allerdings müssenwir mit unseren Beschlüssen Ernst machen; denn die neuen Zieledes Europäischen Rates weisen bereits weit über die Zieledes Kiotoprotokolls und das Jahr 2012 hinaus. Wenn die EU dieTreibhausgase um 30Prozent mindern will, muss Deutschlandmehr erbringen. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung vonSPD und CDU/CSU. Der Deutsche Bundestag hat deshalb zu Recht inseinem Beschluss vom November2006 auf die Ergebnisse derEnquete-Kommission ?Vorsorge zum Schutz derErdatmosphäre“ verwiesen. Danach müsste Deutschlandseine Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Basisjahr1990bis zum Jahr 2020 um 40Prozent senken. Das bedeutet: Bisherging es um eine Minderung von 21Prozent in 22Jahren,nämlich von 1990 bis 2012. Anschließend geht es um eineReduktion um weitere 19Prozent in acht Jahren bis 2020. Daliegt die Latte, da müssen wir hin.

Die Bundesregierung wirdnoch in diesem Jahr mit einem neuen Klimaschutzprogramm das Maßnahmenpaket aufden Weg bringen, mit dem die Beschlüsse der EuropäischenUnion umgesetzt werden sollen. Um bis 2020 eine 30-prozentigeReduktion der Treibhausgase zu erreichen, müssen dieEmissionen im Vergleich zu heute um 147Millionen Tonnenreduziert werden. Das reicht aber nicht. Eine Reduktion um40Prozent bedeutet dagegen eine Senkung des Ausstoßesvon Treibhausgasen um 270Millionen Tonnen gegenüber demNiveau von 2006.

Erste Ergebnisse von Studienim Auftrag der Bundesregierung zeigen, dass das machbar ist. Die270Millionen Tonnen könnten danach bis 2020 inacht Maßnahmenbereichenerbracht werden: erstens Reduktion des Stromverbrauchs um11Prozent durch massive Steigerung der Energieeffizienz, dasbringt eine Einsparung von 40Millionen Tonnen; zweitensErneuerung des Kraftwerkparks durch effiziente Kraftwerke:30Millionen Tonnen; drittens Steigerung des Anteils derStromerzeugung durch erneuerbare Energien auf über27Prozent: 55Millionen Tonnen; viertens Verdopplung dereffizienten Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung auf25Prozent: 20Millionen Tonnen; fünftens Reduktiondes Energieverbrauchs durch Gebäudesanierung, effizienteHeizungsanlagen und Produktionsprozesse: 41Millionen Tonnen;sechstens Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien imWärmesektor auf 14Prozent: 14Millionen Tonnen;siebtens Steigerung der Effizienz im Verkehr und Steigerung desAnteils der Biokraftstoffe auf einen Anteil von 17Prozent:30Millionen Tonnen, und achtens Reduktion der Emission vonanderen Treibhausgasen, wie zum Beispiel Methan: 40MillionenTonnen.

Kein Zweifel: DiesesMaßnahmenpaket ist außerordentlich ehrgeizig, aber esist machbar. Zum ersten Mal wird es bei der Umsetzung derKlimaschutzziele wirklich ernst. Meine Damen und Herren, wirmüssen uns entscheiden!

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Heute ist der Jahrestag derReaktorkatastrophe in Tschernobyl. Sicher wird Ihnen nichtentgangen sein, dass die Atomenergiein der Aufzählung der Maßnahmenpakete fehlt. Jederweiß, dass es in der Koalition und auch in derBevölkerung unterschiedliche Auffassungen zum ThemaKernenergie gibt. Ich bin mir aber mit EU-Kommissar Piebalgs, derim Gegensatz zu mir ein Befürworter der Kernenergie ist,einig, dass die zentralen Handlungsfelder fürVersorgungssicherheit und Klimaschutz Energieeffizienz underneuerbare Energien sind. Piebalgs erklärte dazu:

Atomkraft ist nicht die Antwort aufalle Fragen etwa zum Schutz der Erdatmosphäre.…Wichtiger sind verstärkte Anstrengungen, Energie einzusparenund erneuerbare Energien auszubauen.

Ich kann Herrn Piebalgs nurrecht geben: Die Kernenergie zum archimedischen Punkt derEnergiepolitik und des Klimaschutzes zu machen, hat mit derRealität nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Natürlich werden wir darüber auchweiterhin lustvoll streiten. Aber weit mehr als 90Prozentdessen, was wir zur Lösung der Probleme tun müssen, liegtjenseits der mitunter recht lauten Pro-und-Kontra-Debatte zurKernenergie.

Lassen Sie mich einenanderen neutralen Beobachter der Szene, Horst Köhler, unserenBundespräsidenten, zitieren:

Mir sind … keineernstzunehmenden Stimmen bekannt, die ihr Eintreten für dieAtomkraft damit begründen, darin liege das allumfassendePatentrezept zur langfristigen Lösung des Klimaproblems. Ausmeiner Sicht brauchen wir einen ausgewogenen Energiemix, und dazubrauchen wir vor allem eine Strategie zum weiteren Ausbau dererneuerbaren Energien und der massiven Verbesserung derEnergie-Effizienz. Und nicht zuletzt: Wir müssen sparsamer mitder vorhandenen Energie umgehen.

Meine Damen und Herren, wennwir uns in Zukunft in diesem Bewusstsein konstruktiv überEnergie und Klima streiten, dann sind wir in unserem Land schoneinen riesigen Schritt vorangekommen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eines sind dieMaßnahmen jedenfalls nicht: zu teuer. Im Gegenteil: DiesesProgramm ist gut für Wirtschaft, Umweltund Beschäftigung. Es werden Jobs in denZukunftsbranchen geschaffen. Unsere Wirtschaft wird für deninternationalen Wettbewerb um knappe Ressourcen fit gemacht. Schonheute finden 214000Menschen Arbeit und Einkommen in derBranche der erneuerbaren Energien. Vor wenigen Monaten haben wirmit dieser Branche die Schaffung von 5000 zusätzlichenAusbildungsplätzen in den kommenden zwei Jahren vereinbart.Das ist eine echte deutsche Erfolgsstory.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Natürlich kostet derKlimaschutz Geld. Aber auch für den Klimaschutz gilt: DieInvestitionen von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Vorallem aber bedeutet Investition in den Klimaschutz Sicherheit vorden Zerstörungen des ungebremsten Klimawandels. Das DeutscheInstitut für Wirtschaftsforschung errechnete diewirtschaftlichen Folgeschäden eines ungebremsten Klimawandelsin Deutschland: Sie belaufen sich auf 137Milliarden Euro biszur Mitte dieses Jahrhunderts. Demgegenüber schätzt dasBMU die Mehrkosten im Bundeshaushalt für dieseKlimaschutzinvestitionen bis zum Jahre 2010 auf rund3Milliarden Euro. Ich finde, das ist vergleichsweisepreiswert.

Ich kann und will denEntscheidungen zum Haushalt nicht vorgreifen; aber sie müssenin diesem Jahr fallen. So muss die Nutzung der Wärme auserneuerbaren Energien massiv aufgestockt werden.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNEN)

Eines ist klar: Wir stehen auch hier vorweitreichenden Entscheidungen, wenn wir es mit dem Klimaschutzwirklich ernst nehmen. So werden wir das Ordnungsrecht konsequent für den Klimaschutzeinsetzen. Das gilt beispielsweise für die Anforderungen andie Energieeffizienz von Gebäuden.

(Beifall des Abg. Hans-KurtHill (DIE LINKE))

Das Ordnungsrecht stößt aber auchan Grenzen, etwa bei der Sanierung von Altbauten, lieber Kollege,zum Beispiel bei Menschen, die nicht sehr viel Geld in der Taschehaben.

Deshalb brauchen wir sicherzusätzliche Haushaltsmittel. Allerdings gibt es auchVorschläge zur Gegenfinanzierung: Ist es eigentlich sinnvollund gerecht, dass nach Recherchen der Deutschen Umwelthilfeinzwischen drei von vier der großen Geländefahrzeuge mitsehr hohem Spritverbrauch als Dienstkraftfahrzeuge vom Steuerzahlersubventioniert werden? So viele Revierförster und Landwirtewird es unter den Käufern dieser CO2-Schleudern wohl kaumgeben.

(Beifall bei der SPD, demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie beiAbgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der LINKEN)

Wir haben uns darauf verständigt, dasswir diese Frage in der Regierung prüfen wollen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP):Ist das eine Regierungserklärung?)

- Ich lese das vor, was wir in der Regierungvereinbart haben, Herr Kollege. So ist das.

(Beifall bei der SPD - Lachenund Beifall bei der FDP)

Der Schlüssel füreinen erfolgreichen Klimaschutz liegt in der Energiewirtschaft.Dafür nutzen wir den europäischenEmissionshandel. Der Emissionshandel ist einmarktwirtschaftliches Instrument. Er gibt der Übernutzung derUmwelt einen Preis. Bislang werden die Gewinne aus dieserÜbernutzung und Zerstörung privatisiert, die Kostenfür die Beseitigung der Folgen von Stürmen,Verwüstung und Überflutungen dagegen sozialisiert. Nunhat das Emissionszertifikat seinen Preis und geht in diebetriebswirtschaftliche Kalkulation ein.

Der Anteil der Energiewirtschaft an dengesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland beträgt40Prozent. Seit 1999 haben die Emissionen in diesem Sektor umüber 30Millionen Tonnen zugenommen. Daran sieht man,dass die bisher in diesem Sektor getroffenen Maßnahmen nichtausreichend wirksam waren. So hat der erste Allokationsplanlediglich eine Senkung von 2MillionenTonnen CO2 zumZiel gehabt.

Die Bundesregierung hat hiergrundlegend umgesteuert. Mit dem vergangene Woche im Bundeskabinettbeschlossenen Zuteilungsgesetz2012 wird dieverfügbare Emissionsmenge der Kraftwerke drastisch um57MillionenTonnen abgesenkt. Dabei räume ichfreimütig ein, dass wir auf diesem Weg in derAuseinandersetzung mit der Europäischen Union gemeinsam einegewaltige Lernkurve hinter uns gebracht haben. Ich glaube, das giltfür alle, die an diesem Prozess beteiligt sind.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden dabei nichtstehen bleiben. Nach 2012 wird Europa die Emissionsmenge weiterabsenken, um die gesteckten Ziele auch wirklich zu erreichen. UmWindfall-Profits zu vermeiden, ist aber die Versteigerung derEmissionszertifikate das einzig Vernünftige. Ob und wie weitwir bereits ab dem kommenden Jahr 10Prozent versteigernwerden, muss der Deutsche Bundestag im Rahmen seiner Debatte um dasZuteilungsgesetz2012 entscheiden. Gründe dafür gibtes viele; noch viel größer ist der Finanzierungsbedarfim Klimaschutz.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun muss es darum gehen, deneuropäischen Emissionshandel zu einem wirklicheuropäischen Instrument zu machen. Wir brauchen mehrTransparenz über die Verfahren und die Festlegung derEmissionsbudgets. Die Allokationsregeln müssen in den27Mitgliedstaaten harmonisiert werden, und der Flugverkehrsoll in wettbewerbsneutraler Weise in den EU-Emissionshandeleinbezogen werden.

Bei der Stromerzeugung istder massive Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung die wichtigsteMaßnahme. Die kombinierte Erzeugung von Strom, Wärme undvielfach auch Kälte nutzt Energieträger ameffizientesten. Entscheidend kommt es darauf an, über Nah- undFernwärmenetze anfallende Wärme zu nutzen. Deshalbmüssen wir den Ausbau der Nah- und Fernwärmenetzestärker fördern. Unser Ziel ist es, den KWK-Anteil vonheute rund 10Prozent bis 2020 in etwa zu verdoppeln. Wenn wirdie bisherige Förderung der Bestandsanlagen auf neue undhocheffiziente Anlagen umschichten, erreichen wir dadurch bis 2020eine Verminderung der CO2-Emissionen um rund20MillionenTonnen.

(Beifall des Abg. UlrichKelber (SPD))

Aber machen wir uns nichtsvor: Wir können bis auf Weiteres nicht auf den Einsatz vonKohle für die Stromerzeugungverzichten. Bis Dezember2012 werden drei großeBraunkohlekraftwerke, sechs Steinkohlekraftwerke und siebenGaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 12000 Megawattgebaut. Der Ersatz der ineffizienten Anlagen bringt eine massiveEntlastung für den Klimaschutz. Die neuen Kraftwerke habeneinen so viel höheren Wirkungsgrad, dass der Atmosphärebis zu 42MillionenTonnen Kohlendioxid im Jahr erspartwerden können.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Wer hier allein aufGas setzt, fährt im Übrigeneine Risikostrategie. Gas nutzen wir heute nur zu 10Prozentfür die Stromerzeugung; Braunkohle und Steinkohle machen50Prozent unseres Strommarktes aus. Wollte man Kohle durchGas ersetzen - was gelegentlich auch hier im Hause gefordert wird-, müsste der Gaseinsatz ungefähr verfünffachtwerden. Das sind drei Viertel des gesamten Erdgaseinsatzes inDeutschland und entspricht - um einen plakativen Vergleich zuwählen - dem Gasverbrauch eines Jahres von Italien.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

So viel Gas ist am Markt nicht verfügbar,und es hätte zudem erhebliche Auswirkungen auf denStrompreis.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Genauso klar sage ich aberauch, dass es unter den Bedingungen des Emissionshandels fürdie Verstromung von Braunkohle und Steinkohle klare Grenzen gibt.Dies ergibt sich aus der fortschreitenden Verknappung derEmissionsrechte. Das Horrorgemälde von 29 oder 40neuenKohlekraftwerken entbehrt jeder Grundlage.

(Beifall der Abg. Marie-LuiseDött (CDU/CSU))

Um die europäischenKlimaschutzziele zu erreichen, werden wir in der drittenHandelsperiode - also zwischen 2012 und 2020 - das Emissionsbudget für die Energiewirtschaftgegenüber dem jetzigen Emissionsbudget nochmals deutlichabsenken. Nach 2012 gibt es für die neuen Kohlekraftwerke nurdrei Alternativen: Entweder wird CO2 abgeschieden und gespeichert -das planen RWE und Vattenfall - oder die EVU kaufen an derBörse die benötigten CO2-Zertifikate oder es werdenüber Klimaschutzprojekte im Ausland Emissionsrechteerworben.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Entsprechend dem Beschlussdes Europäischen Rates sind die drastische Steigerung derEnergieeffizienz und der massive Ausbau der erneuerbaren Energiendie richtige Doppelstrategie. Auf diesem Weg machen wir inDeutschland schon jetzt Fortschritte. In wenigen Jahren haben wirden Anteil der erneuerbaren Energienin der Stromerzeugung verdoppelt. Schon heute erzeugen sie inDeutschland so viel Strom wie der Energieversorger EnBW. In zehnJahren werden sie Eon überrunden. Das ist der Siegeszug dererneuerbaren Energien, der auch nicht aufgehalten wird.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Ziel derEuropäischen Union, bis 2020 den Anteil der erneuerbarenEnergien an der eingesetzten Primärenergie auf 20Prozentzu steigern, bedeutet für Deutschland, dass wir den Anteil dererneuerbaren Energien vervielfachen müssen. Das bisherigeAusbauziel Deutschlands unter der Vorgängerregierung lagübrigens bei 10Prozent. Nun müsste auf Basiseuropäischer und deutscher Gutachten der deutsche Anteil auf16Prozent steigen, um den verabredeten durchschnittlichenAnteil von 20Prozent am Primärenergiebedarf Europaserreichen zu können.

Was heißt das fürden Strombereich? Wir werden den Anteil der erneuerbaren Energienan der Stromerzeugung von heute 12Prozent deutlich steigern.Die Leitstudie des BMU zeigt, dass wir bis 2020 einen Anteil von27Prozent erreichen können. Bislang lag das Ziel imStromsektor bei nur 20Prozent.

Der schlafende Riese dererneuerbaren Energien ist der Wärmemarkt. Hier besteht dergrößte Nachholbedarf. Unser Ziel ist es, den Anteil dererneuerbaren Energien an der Erzeugung von Wärme undKälte von heute 6Prozent bis 2020 mindestens zuverdoppeln.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

In einem Wärmegesetz werden wirfestlegen, dass bei Neubauten und der grundlegenden Sanierung vonAltbauten ein bestimmter Anteil des Wärmebedarfs auserneuerbaren Energien erzeugt werden muss. Eine Gesetzesinitiativedes Landes Baden-Württemberg verfolgt einen vergleichbaren Wegund schlägt einen Anteil von 20Prozent amWärmebedarf aus erneuerbaren Energien vor. Wir wollen dabeieine intelligente und kostengünstige Verknüpfung mitMaßnahmen zur Energieeffizienz schaffen. Ferner brauchen wirfür Altbauten eine massive und langfristig verlässlicheAufstockung der Fördermittel. Dazu wird die Bundesregierungnoch 2007 die notwendigen Entscheidungen treffen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Mit der Klimaschutzstrategieder Bundesregierung verbinden sich für unser Land enormewirtschaftliche Chancen, die viele leider noch gar nichtwahrnehmen. Wir sollten uns das Ziel setzen, Deutschland zurenergieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt zu machen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Zukunft wird dieEnergieproduktivität eines Landes ganz maßgeblich dieinternationaleWettbewerbsfähigkeit bestimmen. Modernste Steuer-,Mess- und Regeltechniken, die die Energieeffizienz von Kraftwerken,Maschinen, Heizungen und Autos steigern, bieten langfristigBeschäftigungsmöglichkeiten für Ingenieure undFacharbeiter. Es liegt an uns, dass wir den Ordnungsrahmen und diewirtschaftlichen Anreize so setzen, dass die mit einem aktivenKlimaschutz verbundenen wirtschaftlichen Chancen genutzt werden.Deutschland hat die Chance, auf den Leitmärkten der Zukunftdie führende Rolle zu spielen. Wir wollen diese Chancenutzen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Damit sich dieLeitmärkte in diese Richtung entwickeln, brauchen wir klareRahmenbedingungen. In einem funktionierenden europäischenBinnenmarkt ist es die Aufgabe der Europäischen Union,anspruchsvolle Standards zurEnergieeffizienz zu setzen und Vorgaben dafür zu machen- bei den Elektrogeräten im Haushalt, bei elektrischenAntrieben in der Industrie und bei der öffentlichenStraßenbeleuchtung ebenso wie im Automobilverkehr. Schon dieSenkung des Stromverbrauchs um 11Prozent durch effizientereGeräte sorgt für Minderungen der CO2-Emissionen inHöhe von 40Millionen Tonnen in unserem Land.

Die Bundesregierung wirdsich in der Europäischen Union dafür einsetzen, dass dieEntscheidungsverfahren beschleunigt werden und für alleProduktgruppen verbindliche Effizienzstandards zügigfestgelegt werden. Diese Standards müssen sich an den bestender am Markt befindlichen Produkte orientieren. Aber auch Bund,Länder und Gemeinden haben hier eine zentrale Aufgabe. Dieöffentliche Hand fragt jährlich Güter undDienstleistungen in Höhe von 250Milliarden Euro nach.Das sind 13Prozent des Bruttosozialprodukts. DieBundesregierung wird deshalb mit gutem Beispiel vorangehen und dieAnforderungen an die Beschaffung energieeffizienter Produkte neugestalten. Damit soll neben den Anschaffungskosten derEnergieverbrauch stärker berücksichtigt werden.

Trotz des heutigen Standsder Technik sind die meisten Gebäude energetisch gesehen löchrig wieein Schweizer Käse. Mit gut sanierten Gebäuden undmoderner Heiztechnik können die Bundesbürger ihreHeizkosten im Durchschnitt mehr als halbieren. Wir wollen diejährliche Sanierungsrate der Gebäude auf der Basisanspruchsvoller Energieeffizienzstandards verdoppeln. DieBundesregierung wird mit der Änderung derEnergieeinsparverordnung die Anforderungen an die Energieeffizienzvon neuen und sanierten Gebäuden um durchschnittlich30Prozent verschärfen. In einer zweiten Stufe werden dieAnforderungen nochmals in der gleichen Größenordnungangehoben.

Rund ein Viertel desEnergieverbrauchs entfällt auf den Verkehr. Die höchsten Zuwachsraten hat derFlugverkehr. Die Bundesregierung unterstützt deshalb diewettbewerbsneutrale Einbeziehung des Flugverkehrs in deneuropäischen Emissionshandel.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Senkung desKraftstoffverbrauchs bei den Kraftfahrzeugen steht für dieBundesregierung ganz oben auf der Tagesordnung.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir gemerkt!)

- Ja, Frau Kollegin, das haben Sie hoffentlichgemerkt, wenn Sie gelesen haben, was wir beschlossen haben. Siesollten nicht nur das, was Sie selber immer vorlesen,wiederholen.

Die Kfz-Steuer soll so geändert werden,dass in Zukunft nicht der Hubraum, sondern die CO2-Emissionen derMaßstab für die Steuern sind. DieSchadstoffabhängigkeit bleibt im Übrigen erhalten.

Nun zu Frau KolleginKünast und ihrem Zwischenruf: Auf europäischer Ebenebetreibt die Bundesregierung aktiv die Diskussion um Obergrenzen für die CO2-Emissionen vonKraftfahrzeugen voran.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich ja gemerkt! Dashaben alle gemerkt!)

Wir stehen zu dem Ziel der Kommission, FrauKollegin, bis zum Jahr2012 im Durchschnitt dereuropäischen Kfz nur noch 120Gramm CO2 pro Kilometerzuzulassen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Das Nichterreichen der Selbstverpflichtung dereuropäischen Autoindustrie darf nicht folgenlos bleiben. DenGroßteil dieser CO2-Verringerung wollen wir durch Fahrzeug-und Motorentechnik erreichen, einen kleineren Anteil von bis zu10Gramm allerdings zusätzlich durch die Verpflichtung,den Kraftstoffen Biokraftstoffe beizumischen. Das, Frau Kollegin,dient vor allem dazu, einen marktwirtschaftlichen Anreiz fürInvestitionen der Automobilindustrie und derMineralölindustrie in Bioraffinerien für synthetische Kraftstoffezu schaffen. Nur diese synthetischen Kraftstoffe werden unslangfristig wirklich weg vom Öl bringen, ohne dass wir dadurchin Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau treten würden. IhreStrategie, Frau Kollegin, liefe darauf hinaus, dass das alles derBundeshaushalt bezahlen soll. Das werden wir nicht können.Wenn wir die Bioraffinerien durchsetzen wollen, brauchen wir einenmarktwirtschaftlichen Anreiz, und den schaffen wir mit dieserStrategie der Begrenzung auf 120Gramm.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bahn hat von allenVerkehrsträgern die beste Klimabilanz. Wer von Berlin nachMünchen reist, verursacht mit einer Bahnfahrt33Kilogramm CO2, mit dem Auto das Dreifache; mit dem Flugzeugentfachen wir auf dieser Strecke eine Klimawirkung von fast demFünffachen. So stellt sich vor diesem Hintergrundnatürlich auch die Frage, wie wir dieWettbewerbsfähigkeit der Bahn zu den anderenVerkehrsträgern unter Klimagesichtspunkten verbessernkönnen. Die Bekämpfung des Klimawandels und der damitverbundene notwendige Umbau derIndustriegesellschaft können nur gelingen, wenn dieBundesregierung insgesamt, aber auch Länder und Kommunen sowiedie Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft dafür ihren Teilder Verantwortung übernehmen.

Aber auch dieBürgerinnen und Bürger können mit ihrem Verhaltenganz maßgeblich zum Klimaschutz beitragen. Energiesparen istso einfach und lohnt sich. Wenn wir kurz und kräftig dieWohnung lüften, sparen wir Heizenergie. Ziehen wir nachts denStecker eines Gerätes, das nur eine Stand-by-Schaltung hat,sparen wir Strom. Ganz entscheidend können wir denStromverbrauch senken, wenn wir beim Kauf von Elektrogerätenauf den Energieverbrauch achten.

Meine Damen und Herren,Deutschland ist das größte Industrieland in Europa. ImAusland wird genau verfolgt, inwieweit es uns gelingt, einenambitionierten Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wachstum undwirtschaftlicher Entwicklung zu verknüpfen. Deshalb solltenwir bei diesem Prozess Schrittmacher und Innovationstreibersein.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Kein Industrie- und erst recht keinSchwellenland wird bei einem neuen Klimaschutzabkommen mitmachen,wenn dies Wohlstandsverzicht bedeuten würde. Umgekehrt: Wennwir erfolgreich sind, bedeutet dies den maximalen Schub fürdie internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz. Dieser ist auchdringend notwendig. Bei der Klimakonferenz im Dezember in Bali muss der offizielle Startschuss fürdie umfassenden Verhandlungen erfolgen. Nur wenn dieseVerhandlungen rechtzeitig bis 2009 abgeschlossen werdenkönnen, kann das Folgeabkommen zum Kiotoprotokoll 2013 inKraft treten.

Dafür kommt esentscheidend darauf an, dass die USA und die anderenIndustrieländer, aber auch die Schwellenländer mitmachen.Wenn es gelingt, die Blockade zwischen den USA und einigenIndustrieländern einerseits und den Schwellenländernandererseits aufzubrechen, stehen die Chancen dafür nichtschlecht. Ich bin sehr optimistisch.

Schon heute verlassen vieleMillionen Menschen ihre Heimat auf der Suche nach Wasser undWeideland. Bewaffnete Konflikte um den Zugang zu Energie und Wasserbedrohen deshalb in nie da gewesener Weise den Weltfrieden. Wirbrauchen aus diesem Grund eine weltweite Sicherheitspartnerschaft, wie sie der deutscheBundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf derMünchener Sicherheitskonferenz gefordert hat.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU - Lachen der Abg. EvaBulling-Schröter (DIE LINKE))

Die Folge einer solchen Partnerschaft wird dieErhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für die Kinderund Enkelkinder aller heute auf der Welt lebenden Menschen sein.Für viele Länder, die schon heute unter Trockenheit undWassermangel zu leiden haben oder vom Anstieg des Meeresspiegelsbedroht sind, geht es um die nackte Existenz. Wenn wir denEntwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandelwirksam helfen, verhindern wir übrigens auch, dass MillionenMenschen auf der Suche nach Wasser und Brot ganze Regionendestabilisieren. In diesem Zusammenhang werden wir innovative Finanzierungsinstrumente, wie sie inFrankreich, Großbritannien und den Niederlanden bereitsexistieren, prüfen. Die Einnahmen können und müssendann für Klimaschutzmaßnahmen inEntwicklungsländern verwendet werden.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hatfür den bevorstehenden G-8-Gipfelin Heiligendamm, zu dem auchdie großen Schwellenländer eingeladen sind, Klima undEnergie zu einem wichtigen Schwerpunkt gemacht. Lassen Sie mich andieser Stelle der Bundeskanzlerin ganz herzlich dafür danken,dass sie es geschafft hat, das Thema Klimaschutz auf dieinternationale politische Agenda ganz weit vorne zu platzieren.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Unsere gemeinsame Aufgabe -bei allem Streit über das eine oder andere Instrument - wirdes sein, sich dieser historischen Dimension der globalenMenschheitsherausforderung des Klimawandels bewusst zu sein undjetzt konsequent zu handeln. Noch nie waren die Zeiten füreine konsequente Klimaschutzpolitik so günstig wie heute. Nochnie war die internationale Staatengemeinschaft so entschlossen undgeschlossen für entschiedenes Handeln. Noch nie waren dieMenschen so bereit, mitzumachen; denn sie sehen die Vorteilefür ihr Budget und ihre Lebensqualität und haben Sorge umihre Kinder und Enkelkinder. Noch nie waren die wirtschaftlichenChancen so günstig für eine exportorientierteIndustrienation wie Deutschland, deren Unternehmen auf den mitKlimaschutz orientierten Märkten bestens aufgestellt sind.

Diesen Schwung, dieseStimmung sollten wir nutzen im Interesse unseres Landes und derMenschen, die hier leben und arbeiten.

(Anhaltender Beifall bei derSPD - Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache. Das Worterhält zunächst der Kollege Michael Kauch für dieFDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Michael Kauch(FDP):

Herr Minister, ich danke Ihnen sehr herzlichfür das sehr textsichere Verlesen derRegierungserklärung. Ich finde es schon sehr bemerkenswert,dass Sie an keinem Punkt von Ihrem Redemanuskript abgewichen sind,dessen Inhalt offensichtlich in mühsamer Kleinarbeit von denBeamten der Regierung abgestimmt wurde. Das zeigt, wie gering dieEinigkeit in der Koalition in dieser Frage ist.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Vier Buchstaben: Gähn!)

Auch ansonsten bin ich etwasenttäuscht von dem, was Sie hier vorgetragen haben. Es wurdeangekündigt, dass eine Roadmap fürneue Maßnahmen von derRegierung vorgelegt würde. Das war ganz geheim; man konnte vonIhrem Ministerium vorher keine Informationen dazu bekommen. Nachder Regierungserklärung frage ich mich, was Sie hiereigentlich vorgetragen haben. Sie haben keine Maßnahmen,sondern nur Ziele erwähnt.

(Beifall des Abg. JürgenTrittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Keine einzige der in der Koalition strittigenFragen wurde an dieser Stelle beantwortet. Nichts Neues in diesemBereich.

(Beifall bei der FDP sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme einmal dasBeispiel Energieeffizienz. Sie habenuns gesagt, Deutschland müsse das energieeffizienteste Landder Welt werden. Das steht schon im Indikatorenbericht zurnationalen Nachhaltigkeitsstrategie, den Ihre Staatssekretärinuns gestern erklärt hat. Daraus geht zum Beispiel hervor, dasswir im Bereich der Energieeffizienz so weit von den Zielen derNachhaltigkeitsstrategie entfernt sind wie in keinem anderenBereich. Dazu kann ich nur sagen: Seit 1998 regiert die SPD mit indiesem Land. Sie haben diese Politik offensichtlich mit zuverantworten.

(Beifall bei der FDP)

Es ist schon bemerkenswert,welche Punkte noch nicht geklärt worden sind. Sie habengesagt, Sie wollen die KWK ausbauen und damit - ich glaube, Siehabe diese Zahl genannt - 25Millionen Tonnen CO2 jedes Jahreinsparen. Wo ist denn der Entwurf der Koalition für eineAnschlussregelung bei der Kraft-Wärme-Kopplung? Dazu haben Sieheute nichts gesagt. Für den Bereich der erneuerbaren Energiehaben Sie Ziele genannt. Aber was ist denn das Konzept derKoalition in diesem Bereich? Auch dazu Fehlanzeige in dieserRegierungserklärung.

(Beifall bei der FDP sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will auf die Kernenergie an dieser Stellenicht detailliert eingehen. Wir wissen, dass Sie in diesem Punktnicht einig sind.

All das würde uns alsOpposition im Zweifel erfreuen, wenn es nur um die Koalition ginge.In dieser Frage geht es aber um unser Land und unsere Erde. Andieser Stelle muss die Koalition in einer Regierungserklärungschon mehr vorlegen als Überschriften für Ziele.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Dann wollen wir einmal FDP-Vorschlägehören!)

Dennoch bin ich froh, dasswir heute hier ausgiebig über dieses Thema diskutieren werden;denn nach den Berichten des IPCC haben wir eine Medienwelle erlebt,in deren Rahmen sich manche Kollegen mit populistischen undvöllig unsystematischen Vorschlägen geradezuüberboten haben. Hier die Glühbirne, dort der Urlaubsflugnach Mallorca - jeden Tag hat man eine neue Klimasau durchs Dorfgejagt und einen neuen Wettbewerb um neue Verbotsvorschlägeeröffnet.

Meine Damen und Herren, wennwir so Politik betreiben, wecken wir bei den Bürgerntatsächlich Zweifel an der Problemlösungskompetenz derPolitik.

(Beifall bei der FDP)

Um keinen Zweifel zu lassen:Die FDP ist der Meinung, dass die sehr schnelle globaleErwärmung eine Bedrohung für die Natur und für dieWirtschaft darstellt. Deshalb muss jetzt gehandelt werden. Wirwollen mehr Klimaschutz. Wir wollen ihn aber nicht vorrangig mitVerboten, sondern mit Anreizenschaffen, und zwar nicht durch die nationale Brille, sondern imglobalen Kontext. Die FDP steht für eine Klimapolitik, die aufTechnologie und Innovation setzt und nicht auf nationaleVerzichtsideologien.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Das sind doch nur Schlagworte!)

Die einseitige Verpflichtungder Europäischen Union, bis 2020 mindestens 20ProzentCO2 einzusparen, war ein Zwischenschritt. Das war kein historischerBeschluss, Herr Minister. Es ist aber ein wichtiger Zwischenschrittauf dem richtigen Weg.

Die eigentlicheBewährungsprobe für die Bundeskanzlerin kommt noch,nämlich auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm. Nur wenn esgelingt, die USA, Indien und China tatsächlich in Konzeptefür den globalen Klimaschutz einzubinden, werden wir realeFortschritte im Kampf gegen den Klimawandel erreichenkönnen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wirLiberale wollen einen globalenKohlenstoffmarkt in allenLändern und in allen Sektoren. Das ist die Vision, auf die wirhinarbeiten.

Herzblut und Betroffenheitreichen in der Klimadebatte nicht mehr aus. Wir müssen endlichmehr wirtschaftlichen Sachverstand in die Debatte bringen. Proeingesetzten Euro muss so viel Treibhausgas wie möglichvermieden werden.

Wir sollten dieEmissionshandelssysteme, die derzeit in den USA entstehen, mitunserem europäischen Emissionshandel verbinden.

Ich fordere dieBundesregierung auf, endlich mehr für Klimaschutzprojekte inEntwicklungsländern zu tun. Die Vorbehalte vieler Politiker -auch im Umweltausschuss - gegen so genannte CDM-Projektemüssen ein Ende haben.

Auch die vergleichsweisekostengünstige Aufforstung, die zur Bindung von CO2 in denWäldern führt, muss endlich zu einer Priorität derdeutschen Klimapolitik werden. Ich finde es höchstbedauerlich, dass die Koalition in diesem Zusammenhang zwarschöne Worte für die Forstwirtschaft findet, den Antragder FDP, den deutschen Wald für den Klimaschutz zu nutzen,aber ohne Alternativen ablehnt. Dasselbe geschah gestern imZusammenhang mit dem internationalen Emissionshandel im Bereich desLuftverkehrs. So können Sie Politik nicht gestalten.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wirbrauchen eine Innovationsoffensive inDeutschland und auf G-8-Ebene. Wir müssen erneuerbare Energienvorantreiben. Wir müssen Energieeffizienz vorantreiben. Wirbrauchen aber auch ökologisch und ökonomischtragfähige Übergangstechnologien.

Deshalb muss dieBundesregierung endlich ein Konzept vorlegen und darf sich nichtdarauf beschränken, hier anzukündigen, wie sie dennbeispielsweise die CO2-Abscheidung für Kohlekraftwerketatsächlich voranbringen will.

Auf keine einzige Anfrageder FDP-Fraktion gibt es hier eine Antwort. Vor dem Hintergrund,dass in China alle zehn Tage ein Kohlekraftwerk gebaut wird,wäre es aber fahrlässig, in Deutschland die Entwicklungmoderner Technologien zu verschlafen; denn die Kohle, die in ChinasErde liegt, wird verbrannt werden. Die Frage ist, mit welcherTechnologie das geschehen wird. Ich möchte, dass es mitdeutscher Technologie geschieht, damit wir an dieser Stelle zusauberen Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, auchin einem weiteren Punkt brauchen wir Realismus. Langfristig ist derAusstieg aus der Kernenergiemöglich. Mittelfristig schadet ein solcher Ausstieg dem Klima.Eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerkewäre deshalb sinnvoll. Wir brauchen die Kernenergie so lange,wie erneuerbare Energien oder CO2-freie Kohlekraftwerke eben nichtin ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Monopolisten weiter stärken! Superidee!)

Meine Damen und Herren, esstellt sich auch immer wieder die Frage, inwieweit dieBundesregierung eigentlich die Ziele, die sie uns hiervorträgt, ernst nimmt. Nehmen wir uns einmal das ThemaEmissionshandel vor. Hierzu hat derMinister gesagt: Ja, im Rahmen des NationalenAllokationsplansI hatten wir zu viele Zertifikate ausgegeben,und deshalb liegt der Preis für diese jetzt im Centbereich.Herr Minister, Sie mögen ja vergleichsweise neu im Amt sein,aber es ist doch auch hier vor dem Hintergrund, dass die SPD seit1998 regiert, zunächst zusammen mit den Grünen, die Fragezu stellen, wer denn dafür verantwortlich ist, dass derNationale Allokationsplan in dieser Art und Weise aufgelegt wurde.Wer hat denn zu verantworten, dass der Markt am Schlusszusammengebrochen ist?

(Ulrich Kelber (SPD): Ihrwolltet doch noch mehr Zertifikate!)

Es ist Ihre Partei gewesen, die hierfürdie Verantwortung trägt.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Sie haben behauptet, es wären zuwenige!Eine 180°-Wende!)

Wenn man sich vor Augenführt, was die Bundesregierung mit dem aktuellenEmissionshandelsplan vorhatte, dann kann man nur sagen: Gut, dasses die Europäische Kommission gibt. Sie hat nämlichverhindert, dass wir dieses Spiel mit zu vielen Zertifikaten nochein weiteres Mal erleben. Nur die Europäische Kommission hathier eine Veränderung bewirkt, nicht die Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Angesichts dessen, dass derMinister es jetzt als großen Erfolg feiert, dass er sichgegen den Wirtschaftsminister durchgesetzt habe und es keineSonderbenchmark für die Braunkohlekraftwerke gibt, sollte mansich auch einmal das Kleingedruckte anschauen. Sie haben eineHintertür vorgesehen: Über die Stundenzahl, die fürdie Kraftwerke angerechnet wird, werden den Braunkohlekraftwerkenweiterhin mehr Emissionszertifikate geschenkt als denSteinkohlekraftwerken.

(Ulrich Kelber (SPD):Schmarrn!)

Sie legen uns hier eine Mogelpackung vor.Genauso ist es eine Mogelpackung, wenn Sie uns einen Plan vorlegen,nach dem Kohlekraftwerke mehr als die doppelte Anzahl anZertifikaten als Gaskraftwerke geschenkt bekommen. Das hat nichtsmit Markt und freiem Handel zu tun, sondern ausschließlichmit Lobbyarbeit, die bei der SPD in dieser Frage ganz besonderserfolgreich war.

(Beifall bei der FDP sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachenbei Abgeordneten der SPD)

Ich finde es erfreulich,aber auch bemerkenswert, wenn der Minister, der uns in diesemParlament noch vor wenigen Monaten auf unsere penetrantenNachfragen erklärte, eine Versteigerungvon 10Prozent der Zertifikate sei schlecht fürdie Verbraucher und auch sonst von Übel, und uns demzufolgeauch einen Allokationsplan vorlegte, in dem wiederum keineVersteigerung vorgesehen war, heute aber kurz vor der Debatte inder ?Zeit“ verlautbaren lässt: Er hofft auf dieParlamentarier der Koalition, dass sie jetzt dieVersteigerungsmöglichkeit durchsetzen. Herr Minister, warumkönnen Sie sich denn nicht im Kabinett durchsetzen, wenn Siedas inzwischen für richtig halten? Das zeugt doch von einerziemlich schwachen politischen Position.

(Beifall bei der FDP)

Der Ball liegt jetzt bei Ihnen, liebeAbgeordnete von der Koalition. Sie haben es in der Hand. Siekönnen jetzt eine Teilversteigerung der Zertifikatebeschließen. Ich hoffe, dass Sie das auch tun werden und dassSie den Erlös für die Senkung der Stromsteuer verwendenund damit nicht, wie es der Minister gerade andeutete, neueEinnahmen für Herrn Steinbrück generieren.

(Beifall bei Abgeordneten derFDP)

Meine Damen und Herren, wirhaben in dieser Debatte auch noch eine Reihe von Anträgen zuberaten, auf die ich hier jetzt nur kursorisch eingehen kann. Ichmöchte es aber doch an einer Stelle tun. Am Samstag startetbundesweit die ?Woche der Sonne“. Die FDP hat schon vorvielen Monaten, also nicht erst zu dieser Aktionswoche, einenAntrag zum solaren Unternehmertum in Deutschland vorgelegt, den wirheute hier auch debattieren. Damit wollen wir deutlich machen,welche Potenziale für die Solarindustrie in Deutschland bestehen und inwelchen Bereichen wir eine Technologieführerschaft besitzen.Wir fokussieren die Förderung, die es hierfür gibt, seitJahren auf in Deutschland erzeugten Strom aus Solarenergie, wohlwissend, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei einem Einsatzin anderen Ländern viel besser wäre. Deshalb fordern wir,endlich die Auslandsmärkte in den Blick zu nehmen. Nur sokönnen wir die Technologieführerschaft in derSolarenergie behalten und zugleich noch etwas für denKlimaschutz tun.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Zum Glück lehnen die Solarunternehmen IhreVorschläge ab!)

- Die Solarunternehmen wurden in dieErarbeitung dieses Antrags einbezogen.

Wenn man sich anschaut, wasdie Bundesregierung beispielsweise im Bereich derExportförderung für diese Branche unternimmt, dann stelltman fest, dass hier nichts abgestimmt ist und kein Konzeptvorhanden ist. In der Wüste in Afrika laufenDieselgeneratoren, während wir schöne Programme fürDeutschland auflegen.

(Ulrich Kelber (SPD): Seitdemist die Exportquote gestiegen! Zurück zu den Fakten!)

(Video) Regierungserklärung und Aussprache 27.01.22

Das ist keine rationale Umweltpolitik. Wirwollen hier die Alternative aufzeigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - UlrichKelber (SPD): Zurück zu den Fakten!)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die KolleginKatherina Reiche für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Katherina Reiche(Potsdam) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kauch, Ihre Rede klang schon fast ein bisschenbeleidigt.

(Beifall des Abg. MarcoBülow (SPD))

Dass die Bundeskanzlerin so vehement fürden Klimaschutz kämpft, national und international, zeugt vonÜberzeugungskraft und Führungskraft - das Gegenteildessen, was Sie gerade präsentiert haben.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie des Abg. Marco Bülow (SPD) - Dr. Guido Westerwelle(FDP): Deshalb wird Herr Kauch nicht Bundeskanzler!)

In der vergangenen Wochefand mit der Hannover-Messe eine derweltweit wichtigsten Technologiemessen statt. In diesem Jahr warder Klimaschutz das Thema auf der Hannover-Messe. Die?Wirtschaftswoche“ schrieb hierzu: ?Industrie entdecktKlimaschutz für sich“. Die ?Financial TimesDeutschland“ titelte: ?Klimaschutz alsVerkaufshilfe“.

Die Hannover-Messe gibt eingutes Bild über die Diskussion zum Klimawandel. Sie macht vorallem drei Dinge deutlich:

Zum Ersten. Der Klimawandelist eine Herausforderung, der wir uns jetzt stellen müssen. Esdrohen weltweit erhebliche Veränderungen, nicht nur derUmwelt; es drohen auch soziale und ökonomische Verwerfungen.Die meisten Unternehmen haben das längst erkannt.

Zum Zweiten. DasKlimaproblem ist lösbar; denn wir verfügen überverschiedene Technologien, mit denen der Ausstoß vonTreibhausgasen deutlich reduziert werden kann. Durch Forschung undEntwicklung werden diese Technologien in Bezug auf ihre Wirkung undauf die Kosten verbessert.

Zum Dritten ist Klimaschutzein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Weltweit wächst der Marktfür Klimaschutztechnologien rasant.

Die Folgen des Klimawandelsund die Konsequenzen für den Fall, dass nicht gehandelt wird,liegen auf dem Tisch - ebenso wie die Chancen für Wachstum undInnovation, die in seiner Bewältigung liegen. DerStern-Report, die Klimaberichte der Vereinten Nationen, aber auchverschiedene wissenschaftliche Studien von nationalen Institutenund Unternehmen haben dies immer wieder eindrucksvolldargestellt.

Der Klimawandel ist alsoeine globale Aufgabe. Deshalbbrauchen wir auch eine globale Lösung. Deutschland und dieEuropäische Union werden den Klimawandel nicht alleinbewältigen können. Wir haben einen Anteil von15Prozent an den weltweiten CO2-Emissonen. Dennochmüssen wir eine Vorreiterrolle übernehmen, wenn es umKlimaschutz geht; denn uns kommt eine Schlüsselrolle imKlimaschutz zu.

Viele Länder, vor allemdie Entwicklungsländer und die Schwellenländer, schauenauf uns. Sie achten genau darauf, was wir im Klimaschutz tun, wowir investieren und welche Erfolge wir damit erreichen. Deshalbbegrüße ich es ausdrücklich, dass die Staats- undRegierungschefs auf ihrem Gipfel im März unter derPräsidentschaft von Angela Merkel die Vorreiterrolle Europas im Klimaschutzgestärkt haben. Durch die Festlegung verbindlicher Klimaziele- dreimal 20; der Umweltminister hat sie bereits genannt - habenwir in Europa deutlich gemacht, dass wir im Klimaschutz weitervoranschreiten werden.

Ein Blick in die VereinigtenStaaten zeigt, dass wir uns durchaus auf einem guten Weg befinden.Dort drängen Unternehmen wie General Electric oder auch DuPontdie Regierung dazu, verbindliche Vorgaben für den Klimaschutzfestzulegen. Das zeigt, wie wichtig der Klimaschutz fürInnovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit auch derdortigen Unternehmen ist.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch bei den politischenEntscheidungsträgern in den USA setzt sich das Bewusstseinfür den Klimaschutz immer mehr durch. Am vergangenenWochenende hat der Bürgermeister von New York, MichaelBloomberg, einen sehr ambitionierten Umweltplan vorgelegt.

Vom G-8-Gipfel, bei dem der Klimaschutz ganz oben aufder Agenda steht, muss ein wichtiges Signal für dieKlimakonferenz der Vereinten Nationen in diesem Jahr in Indonesienausgehen. Dort müssen dringend die Weichen für einKiotonachfolgeabkommen gestellt werden. Wenn die führendenIndustrieländer der Welt zeigen, dass es ihnen mit demKlimaschutz ernst ist, werden auch die Entwicklungs- undSchwellenländer folgen.

Herr Kauch, offenbar habenSie das Gesetz nicht richtig gelesen. CDM und JI werden einenAnteil von 20Prozent erreichen. DasProjekt-Mechanismen-Gesetz wurde verbessert, indemBürokratielasten gesenkt wurden, um es Unternehmen einfacherzu machen, hier zu investieren.

Mit den Klimaschutzzielender Europäischen Union ist nun der Rahmen gesetzt, und wirmüssen diesen ausfüllen. Wir haben eine Leitfunktionübernommen, auch innerhalb Europas. Wir haben wichtigepolitische und technologische Impulse gesetzt; deutsche Unternehmensind führend in der Klimatechnologie.

Der Bundestag hat bereits imNovember des vergangenen Jahres beschlossen, diese Vorreiterrolleauch in Zukunft einzunehmen. Die Treibhausgasemissionen sollen biszum Jahr2020 um 30Prozent gesenkt werden. Sollte sichdie Europäische Union auf 30Prozent festlegen, willDeutschland sogar noch mehr leisten.

Eines der wichtigstenInstrumente hierbei ist natürlich der CO2-Handel. In den kommenden Wochen werden wir inDeutschland mit dem Entwurf eines Zuteilungsgesetzes in die parlamentarischenBeratungen gehen. Die Bundesregierung hat hierzu einenGesetzentwurf vorgelegt. Aus Sicht der Unionsfraktion gibt es inzwei Punkten Diskussionsbedarf.

Erstens: die Mitnahmeeffektebei den Stromversorgern durch die kostenlose Zuteilung derZertifikate, die sogenannten Windfall-Profits. Die EuropäischeUnion gibt uns die Möglichkeit, 10Prozent zuversteigern, um diese Windfall-Profits teilweise abzuschöpfen.Ich meine, wir sollten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen;denn eine Versteigerung entspricht den marktwirtschaftlichenPrinzipien, die dem Emissionshandel zugrunde liegen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Zweitens. Es geht um dieAusstattung moderner und effizienter Braunkohlekraftwerke mitCO2-Zertifikaten. Jeder Energieträger in diesem Land - das istklar - muss seinen Beitrag dazu leisten, dass wir uns demKlimawandel stellen können. Genauso richtig ist aber, dassunser Energiemix eine sehr breite Grundlage hat. Dazu gehörtauch die Braunkohle. Deshalb ist es wichtig, dass die Chancefortbesteht, Braunkohle zu fördern.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Neben dem Emissionshandelmüssen wir weitere Maßnahmen ergreifen, die allePolitikbereiche umfassen. Wir können dabei auf dieUnterstützung der Menschen zählen. 90Prozent derDeutschen - das zeigen Umfragen - sehen den Klimaschutz als einewichtige Aufgabe. 58Prozent der Deutschen sind der Meinung,dass die Bundesregierung hier noch mehr tun muss.

Für uns alsUnionsfraktion sind Energiesparen, Energieeffizienz und der Ausbauerneuerbarer Energien zentrale Säulen einerKlimaschutzstrategie. Dazu haben wir am Dienstag in unsererBundestagsfraktion ein sehr ambitioniertes Positionspapierverabschiedet. Durch Energiesparen und eine Verbesserung derEnergieeffizienz könnte Deutschland die Treibhausgasemissionendeutlich reduzieren. Schon heute könnten hier jährlich40Milliarden Kilowattstunden Strom eingespart werden. Dasentspricht dem Verbrauch von ganz Hessen. Deshalb schlagen wir vor,eine Effizienzinitiative Deutschlandzu starten, um die Energieeinsparpotenziale in der Industrie, inden privaten Haushalten, in öffentlichen Gebäuden undauch bei Elektrogeräten zügig zu erschließen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU und der SPD)

Wir wollen hier dreiSchwerpunkte setzen:

Erstens. Wir wollen daserfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm über 2009hinaus fortführen und weiterentwickeln, um denGebäudebestand in Deutschland zu modernisieren. Das hilft demKlima und dem Geldbeutel der Mieter.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Zweitens. Wir wollen dieEffizienzanforderungen für Neubauten und fürgrößere Sanierungsvorhaben verbessern. Das muss sich amaktuellen Stand der Technik orientieren.

Drittens: Wir wollen dieKennzeichnung von Haushaltsgeräten verbessern. Wenn im Regalzwei Wasserkocher nebeneinanderstehen und der Verbraucher sieht,welcher weniger Strom verbraucht, dann bedarf es keinerumfangreichen Gesetze, um jemanden davon zu überzeugen, dasses besser ist, den energiesparenden zu nehmen.

Wir wollen nicht nur dieEnergieeffizienz verbessern, darüber hinaus wollen wir denAnteil der erneuerbaren Energien deutlich erhöhen. Wir strebenan, den Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauchbis zum Jahr2020 auf 16bis 20Prozent zuerhöhen.

Um diese Ziele zu erreichen,muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz wirtschaftlicher gestaltetwerden. Die Innovationsanreize sind zu verbessern. Deswegenplädiere ich dafür, das Gesetz noch in diesem Jahr zunovellieren.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU und der SPD)

Wir müssen darauf setzen, alte Anlagendurch neue zu ersetzen, durch die Kraftwerke der zweitenGeneration, aber auch durch die Kombination verschiedenerEnergieträger wie Biomasse und Wind, um so Synergiepotenzialezu erschließen.

Sigmar Gabriel sprach denBereich der regenerativen Wärmean. Den Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärme- undKältebereitstellung müssen wir deutlich erhöhen.Hierzu wollen wir das Marktanreizprogramm verstetigen und überdas Jahr2009 hinaus fortführen.

(Beifall bei der CDU/CSU undder SPD)

Wir haben hier ein sehrerfolgreiches Instrument: Für jeden von uns ausgegebenenFördereuro können wir 10Euro an Investitioneneinwerben. Darauf sollten wir aufbauen. Für Neubauten, beiumfassenden Sanierungsmaßnahmen, aber auch beim Ersatz vonHeizungsanlagen sollten wir die Einführung einer Nutzungspflicht prüfen. Das LandBaden-Württemberg hat hierzu Vorschläge entwickelt.

Eine wichtige Rolle,insbesondere bei der Erzeugung von Wärme aus regenerativenEnergien, spielt die Biomasse. Hierwollen wir mehr erreichen, und hier stehen wir gleichzeitig vorgroßen Herausforderungen; denn die Pflanzen, die wirbrauchen, um bei der Wärmegewinnung aus Biomassevoranzukommen, werden anders, leistungsfähiger als diePflanzen sein müssen, die wir jetzt haben. Vor allem sind diePflanzen dem Klimawandel ausgesetzt, den wir gerade erleben. Voreinigen Tagen hat der Deutsche Wetterdienst darauf hingewiesen,dass Deutschland stärker von Hitzewellen und Unwetterbetroffen sein wird. Wir erleben gerade in Brandenburg eineTrockenperiode. Eine große deutsche Zeitung bringt heute aufihrer Titelseite ein Bild, das zeigt, dass die Elbe schon jetztfast trocken ist. Die Pflanzen der Zukunft werden sich denklimatischen Bedingungen anpassen müssen. Sie werden anderssein. Deshalb können wir auf die grüne Bio- undGentechnologie nicht verzichten. Wir müssen vorankommen undBlockaden beseitigen, die die Entwicklung dieser wichtigenTechnologie behindern.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben uns darüberhinaus zum Ziel gesetzt, dass wir in Deutschland bis zum Jahr 2020den effizientesten Kraftwerkspark der Welt haben. Dazu bedarf esdes Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung sowie des Neubausmoderner, klimafreundlicher Kraftwerke. Wir sind derÜberzeugung, dass in einem solchen Energiemix auch auf denBeitrag der Kernenergie nichtverzichtet werden kann. Es ist darauf hingewiesen worden, dass eshierzu in der Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt. Abereine CO2-Reduktion von bis zu 30Prozent ist ohne den Einsatzvon Kernenergie schlichtweg nicht darstellbar.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Ein letzter Punkt zurForschung. Die Bundesregierung wird255MillionenEuro in die Klimaforschung investieren.Darüber hinaus werden die Mittel für die Energieforschungdeutlich angehoben. Als Beispiele seien die Abtrennung undSpeicherung von CO2 in Kohlekraftwerken, wo wir unstatsächlich noch im Forschungsstadium befinden, aber auch dieWeiterentwicklung der Brennstoffzelle oder die Fusionsforschunggenannt. Hier muss es weitergehen.

In den kommenden Monatenwird es darauf ankommen, die Ziele im Klimaschutz in konkreteMaßnahmen und Initiativen umzusetzen. Dabei werden wir neueWege einschlagen müssen. Der frühere BundesumweltministerTöpfer hat vor kurzem in einem Interview gesagt: ?Gewinnergibt es beim Klimawandel nicht, sondern nur Verlierer.“ Wirmüssen dies als Aufforderung begreifen, zu handeln, hier undjetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Vorsitzende derFraktion DieLinke, Gregor Gysi.

(Beifall bei derLINKEN)

Dr. Gregor Gysi(DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Spät, aber immerhin: Die Menschheit wachtauf. Weltweit wird über die Klimakatastrophe bzw. diemögliche Klimakatastrophe diskutiert. Die Diskussion hatselbst die USA erreicht. Das klingt zuerst einmal, zumindest vomZeitgeist her, nach einem Fortschritt. Wenn man sich aber denCO2-Ausstoß ansieht, der uns so beschäftigt, dann mussman zu Beginn erst einmal eine grundsätzliche Feststellungmachen: Diese ganze Katastrophe liegt nicht an denEntwicklungsländern, sondern ausschließlich an denIndustriegesellschaften.

(Beifall bei derLINKEN)

Denn pro Einwohner werden in einemEntwicklungsland im Durchschnitt etwa 2Tonnen CO2 im Jahrausgestoßen, in den USA sind es pro Einwohner im Jahr20Tonnen, und in Deutschland sind es pro Einwohner im Jahr10Tonnen. Damit liegt Deutschland - auch das muss man sagen -immer noch über dem Durchschnitt in Europa. Allerdings ist eswahr, dass es von 1990 bis 1993 eine ungeheure Senkung desCO2-Ausstoßes gab. Das lag aberausschließlich an der Deindustrialisierung des Ostens. Essoll mir keiner heute erklären, dass das aus ökologischenGründen geschah. Ich glaube, das geschah aus reinenProfitgründen und hatte mit Unternehmen in den altenBundesländern zu tun, zumindest zum Teil.

(Beifall bei derLINKEN)

Aber jetzt steigt der CO2-Ausstoß wiederan. Das sollte uns nachdenklich machen. Oft wird gesagt - auch derKollege von der FDP hat es getan -: Das gefährde die Erde bzw.das zerstöre die Natur. - Ich glaube, beides ist falsch.Frankreich hat weltweit einige Inselchen. Die nutzt Frankreich, umunter Wasser Atomwaffenversuchedurchzuführen, wie bekannt ist. Ich habe einen Dokumentarfilmgesehen, den ich sehr interessant fand. Da wurde gezeigt, dassDokumentarfilmer zu solchen Inseln gereist und mit entsprechendenAnzügen bekleidet unter Wasser gegangen sind, um zuprüfen, ob es da noch Pflanzen und Tiere gibt. Sie selberkonnten aus ihren Anzügen nicht heraus; denn dann wärensie sofort tot gewesen. Interessant ist, dass es all die Tiere undPflanzen, die es früher dort einmal gab, nicht mehr gibt. Aberes gibt dort massenhaft Pflanzen und Tiere, die kontaminiert sind.Das macht ihnen bloß nichts aus. Was kommt dabei heraus? Wirkönnen die Natur nicht wirklich zerstören, genauso wenigdie Erde. Aber unsere Lebensgrundlage können wirzerstören. Dann wird es die Menschen auf der Erde nicht mehrgeben. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei Abgeordneten derLINKEN)

Allen voran leisten dieIndustriegesellschaften, vor allem die USA, ihren Beitrag dazu.

Was bedeutet eigentlichErderwärmung? Erderwärmung bedeutet, dass wir ein Drittelweniger Niederschläge hätten, wenn es so weiterginge.Erderwärmung bedeutet, dass der Meeresspiegel enorm steigt.Man müsste Mauern bauen, um zu verhindern, dass allesüberschwemmt wird. Ich glaube, niemand hat das Geld und dieKraft, Indien und Bangladesch solche Schutzmaßnahmen zubezahlen.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Niemand hat die Absicht, eineMauer zu bauen!)

- Erzählen Sie doch nicht einen solchenUnsinn! Dieses Thema ist nicht zum Witze machen geeignet. Siekönnen Indien und Bangladesch auf diese Art und Weise nichtretten. Sie bezahlen es erst recht nicht.

Klimaerwärmungbedeutet, dass das Trinkwasserknapper wird und dass Landwirtschaft zum Teil unmöglich wird.Es wird dann einen Kampf um Wasser und um fossile Energierohstoffewie Erdöl geben. Die heutigen Kriege im Irak und inAfghanistan haben schon sehr viel mit dem Kampf um fossileEnergierohstoffe zu tun. Das ist das Problem.

(Beifall bei derLINKEN)

Übrigens, Frau Künast, weil Siegelegentlich für Kriege sind: Dort fliegen besonders vieleFlugzeuge mit hohem CO2-Ausstoß.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN): Gregor, der billige Jakob!)

Davon abgesehen gibt es im Tschad und inNigeria auch innere Auseinandersetzungen wegen des Erdöls. Dasheißt, der Kampf der Menschen um diese Rohstoffe wirdzunehmen. Das ist gar nicht gut.

Wie kann man das verhindern?Welchen anderen Ansatz braucht man? Wir brauchen wieder einPrimat der Politik über dieWirtschaft. Der Neoliberalismus spricht genau dagegen. Mit demPrimat der Politik über die Wirtschaft hat die FDPSchwierigkeiten, genauso wie die Union, die Grünen und dieSPD. Das ist das Problem. Wir müssen darum kämpfen, dassdie Politik wieder entscheidet. Sonst können wirökologische Belange nicht durchsetzen, erst recht nicht gegenProfitinteressen in der Wirtschaft.

(Beifall bei derLINKEN)

Es gibt übrigens einschönes Zitat von Professor Ulrich Beck aus der ?taz“vom 3.April 2007:

In seinem Aufsehen erregendenKlimareport bezeichnet der ehemalige Weltbank-Ökonom NicholasStern die globale Klimaveränderung als das größteMarktversagen in der Geschichte. Wenn wir weiter auf dieMechanismen des Marktes vertrauen, werden wir die Klimakrise nichtlösen … Auch die Grünen müssen ihrmarktwirtschaftliches Kleindenken überprüfen…

Mir scheint da etwas dran zu sein. Wenn wirüber den Kapitalismus nicht hinausdenken, werden wir dieFragen nach der Verhinderung einer Klimakatastrophe nichtlösen können.

(Beifall bei derLINKEN)

Nun gibt es vieleAnsätze. Wir sind uns einig: Wir brauchen die Förderungder erneuerbaren Energien. Hier ist in Deutschland einigesgeleistet worden. Wir brauchen des Weiteren Energieeinsparungen;darüber hat der Minister schon gesprochen. Wir müssenaber auch über den Verkehr neu nachdenken. Ich nenne Ihnen einBeispiel: Sie haben die Bahnprivatisiert. Das ist wieder eine Maßnahme, die dazu dient,das Primat der Politik zu verhindern. Nun muss sich die Bahnrechnen. Deshalb haben wir das Problem, dass dieGütertransporte mit der Bahn teurer sind als auf derStraße und dass der CO2-Ausstoß viel höher ist,weil ständig Lkws fahren und weil wir die Bahndiesbezüglich nicht attraktiv machen können; das ist dasProblem. Wir waren gegen die Privatisierung der Bahn, damit wir -auch hier im Bundestag - die Hoheit über solche Fragenbehalten.

(Beifall bei der LINKEN -Jörg van Essen (FDP): Das ist doch eine abstruseArgumentation!)

Dann wird über Autos,Flüge und Tourismus geredet. Die Grünen neigen dazu,diese Fragen durch sozialeAusgrenzung zu lösen. Ich erinnere Sie an IhrenBeschluss, 5DM pro Liter Benzin zu verlangen. Was hättedas denn bedeutet? Das hätte bedeutet, dass Besserverdienerwie wir weiterhin hätten Auto fahren können, währendwir die Normalbürgerinnen und Normalbürger sowie dieärmeren Schichten von der Straße verdrängthätten. Ähnlich denken Sie, wenn es um Flüge undTourismus geht. Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in dernur die obersten Zehntausend in den Genuss des Tourismus kommenkönnen. Diese Art der Ökologie lehnen wir ab.

(Beifall bei derLINKEN)

Wir wollen in sozialer Gerechtigkeitökologische Strukturen schaffen. Das heißt - darinstimmen wir überein -, dass wir andere Techniken fördernmüssen. Das gilt beim Flugzeug genauso wie beim Auto und beianderen Verkehrsmitteln.

Lassen Sie mich noch etwaszu Ihrem Emissionshandel, zu denZertifikaten sagen. Das ist schon ein starkes Stück.

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Sie wissen, Herr Kollege, dass Sie sich einbisschen beeilen müssen.

Dr. Gregor Gysi(DIE LINKE):

Ich will das deshalb an dieser Stelleerwähnen: In allen Ländern werden Zertifikateversteigert.

(Dr. Uwe Küster (SPD):Sie nehmen Ihrer Kollegin nur Redezeit weg!)

In Deutschland haben SPD und Grüne denKonzernen die Zertifikate kostenlos übergeben, als Geschenk.Dann bekamen die Zertifikate einen Wert, und die Konzerne habendiesen Wert genutzt, indem sie ihn auf den Energiepreisaufgeschlagen haben. Sie haben also kostenlos einen Riesengewinngemacht.

Die Regierung hatdarüber hinaus Zertifikate mit einem Volumen ausgegeben, das7Prozent über dem CO2-Ausstoß in Deutschland lag.Im Ergebnis ist der Wert der Zertifikate enorm gefallen. Vor allemaber musste niemand Zertifikate zukaufen. Null ökologischeWirkung ist dadurch eingetreten.

(Beifall bei derLINKEN)

Herr Bundesminister Gabriel,Sie haben einen Vorschlag gemacht, wie es in einer Wohnungwärmer werden kann, wie man am effizientesten lüftet. Siehaben recht: Wenn man näher zusammenrückt, wird eswärmer.

Das Entscheidende ist, dasswir die Umstellung brauchen. Diese Frage ist unterfriedenspolitischen, entwicklungspolitischen und sozialenGesichtspunkten so wesentlich, dass daraus eine Menschheitsfragegeworden ist.

Danke schön.

(Beifall bei derLINKEN)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen UlrichKelber, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Ulrich Kelber(SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damenund Herren! Wir sprechen heute wahrlich nicht zum ersten Malüber das Thema Klimaschutz im Deutschen Bundestag. Allerdingsist Sigmar Gabriel der erste Bundesumweltminister, der einenkonkreten Maßnahmenplanvorstellt, wie Deutschland 40Prozent derTreibhausgasemissionen einsparen kann.

(Jörg van Essen (FDP):Wann denn? - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wo denn?)

Ab heute kann sich inDeutschland niemand mehr in einen Wettbewerb um die bestenLippenbekenntnisse zum Klimaschutz flüchten, sondern es hatein Ideen- und Umsetzungswettbewerb um konkreteKlimaschutzinstrumente begonnen. Wer eines dieser Instrumenteablehnt, muss einen Vorschlag machen, wie er die gleiche Menge anEinsparungen auf eine andere Art und Weise einsparen kann.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Das ist eine neueQualität der Diskussionen über den Klimaschutz. Das istgut für den Klimaschutz in Deutschland und derEuropäischen Union. Ich erinnere an eines: Die Vorgängerim Amt des Bundesinnenministers haben solche konkretenKlimaschutzmaßnahmen nicht vorgelegt.

(Beifall des Abg. Dr.Christian Ruck (CDU/CSU))

Das gilt für die Zeit der Regierung Kohl,wo es immer das Ziel gab, 25Prozent der CO2-Emissioneneinzusparen. Das ist uns zwar ritualisiert jedes Jahr vorgestelltworden, aber es hat nie ein Maßnahmenpaket dafürgegeben.

Zum letzten Umweltminister,dem Grünen, Jürgen Trittin.

(Zuruf vom BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

- Ich wusste, dass der Zwischenruf, das seialles nur die SPD in Rot-Grün gewesen, kommt. Der DeutscheBundestag hat Jürgen Trittin mit den Stimmen von Rot-Gründen Auftrag erteilt, ein konkretes Klimaschutzprogramm zurEinsparung von 40Prozent der CO2-Emissionen vorzustellen. Erhat noch nicht einmal ein Eckpunktepapier in die Ressortabstimmunggegeben. Er hat sich geweigert, ein konkretes Klimaschutzprogrammvorzulegen. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen diesemehemaligen Minister und Sigmar Gabriel. Ich erwähne das hier,damit die grüne Kritik an dem Bundesumweltminister von allenin diesem Land auf ihre Ehrlichkeit überprüft werdenkann.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast(BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN): Das werden wir gleichmachen!)

Das klare Signal ist: Esgeht mit dem Klimaschutz in Deutschland nicht nur weiter, sonderner gewinnt an Konsequenz und Geschwindigkeit.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Rückwärts!)

Es ist äußerst klug, mit demKlimaschutz nicht auf die langsamsten Staaten dieser Welt zuwarten. Es ist klug, vorausschauend, fair und solidarisch,Vorreiter zu sein.

Es ist klug, weil wir, wennwir mit dem Klimaschutz anfangen, auch als Erste die für denKlimaschutz notwendigen Technologien liefern können. Dassallein im Bereich der erneuerbarer Energien jetzt schon über200000Menschen arbeiten, ist an dieser Stelle schonerwähnt worden.

Es ist vorausschauend, weilein ungebremster Klimawandel die Lebensqualität und denwirtschaftlichen Wohlstand überall auf dieser Erde bedrohenwürde. Wir müssen für den Klimaschutz sehr vielweniger in die Hand nehmen als für die Reparatur vonSchäden, die durch einen ungebremsten Klimawandel verursachtwürden; von der Vermeidung von Konflikten - Stichworte:Ressourcenknappheit und Umweltflüchtlinge - ganz zuschweigen.

Es ist fair, weil wir dernächsten Generation nicht noch eine zusätzliche Lastaufbürden dürfen. Was antworten wir denn, wenn unsereKinder und Enkel fragen: ?Ihr hattet doch die Technologien zurVermeidung der Treibhausgasemissionen. Warum habt ihr sie nichtkonsequent eingesetzt?“ Ich glaube, wir sind uns einig, dassdie Antwort: ?Bequemlichkeit!“, eine verdammt schlechteAntwort auf diese Frage wäre.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Es ist zuletzt solidarisch,weil der Klimawandel vor allem die Ärmsten treffen wird, dieärmsten Staaten und die Ärmeren in einerGesellschaft.

Ja, es stimmt: EinUS-Amerikaner hat eine doppelt so schlechte Klimabilanz wie einDeutscher. Aber ein Deutscher ist für viermal so vielTreibhausgasausstoß verantwortlich wie ein Chinese, fürzehnmal so viel wie ein Inder. Die 80Millionen Deutschenemittieren so viel Treibhausgas wie bald 1Milliarde Afrikanerzusammen. Das ist die Quelle, aus der unsere Verantwortungresultiert, im Klimaschutz als Vorreiter voranzugehen.

Klimaschutz ist dabei keineLast, keine Gefährdung unserer Wirtschaft. Im Gegenteil, erbietet die riesige Chance zur Modernisierung unsererIndustriegesellschaft, für neue Arbeitsplätze undinnovative Technologien. Wir wollen in Produkte und in Köpfeinvestieren anstatt in Brennstoffe. Wir wollen das Land sein, dasdie Technologien für den Klimaschutz in die ganze Welt liefertund damit Lebensqualität und Wohlstand aller Menschenverbessert.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört aber eineSache: Wir müssen aufhören, falsche Schutzzäune um unsere eigene Industrie zuerrichten.

(Beifall der Abg. SylviaKotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was hat es denn gebracht, die deutschenAutomobilbauer vor notwendigen Umweltauflagen zu bewahren? Garnichts.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum habt ihr es danngemacht?)

Unsere Automobilindustrie ist dadurchtechnologisch sogar zurückgefallen: beim Katalysator, beimRußpartikelfilter, beim Hybridantrieb, und vermutlich werdenwir im nächsten Jahr erleben, wie französische,italienische und japanische Hersteller in unserem LandFlexible-Fuel-Autos verkaufen, während unsere Konzerne die nurim Ausland anbieten und in Deutschland behaupten, dass man so etwasnicht herstellen könne. Das hat man davon, wenn manSchutzzäune einzieht. Nein, wir wollen Vorreiter sein, wirwollen die neuen Technologien zuerst anbieten. Das ist eine Antwortauf Klimaschutz und Globalisierung gleichermaßen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Gott sei Dank haben wireines erreicht: Die Klimaschutzzieleder Parteien im Deutschen Bundestag haben sich in den letztenMonaten, zumindest auf dem Papier, angenähert. Man konnte jafast im Wochenrhythmus beobachten, dass, wenn jemand einenkonkreten Vorschlag gemacht hat, welchen Anteil die erneuerbarenEnergien an der Stromerzeugung im Jahr2020 haben sollen, sichimmer ein Nächster gefunden hat, der 5Prozentpunktedraufgeschlagen hat. So kletterte dieser Anteil von 25, 30, 35 auf40Prozent. Ich habe darauf gewartet, dass irgendwann nocheiner 45Prozent bietet. Aber anscheinend hat der40-Prozent-Vorschlag den Zuschlag bekommen. Ich glaube, dass wirjetzt einen Schritt weiter gehen müssen: Wir müssen vondem Wettkampf um die Ziele dazu übergehen, tatsächlichBeschlüsse zu fassen. Wir müssen die notwendigenKlimaschutzinstrumente rechtzeitigbeschließen,

(Beifall bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo leben Sie eigentlich?)

um die Klimaschutzziele im Jahr2020 auchzu erreichen.

Wir haben in den letztenWochen und Monaten und in den anderthalb Jahren seit Gründungdieser Koalition zu einer Reihe von Instrumenten konkreteVorschläge gemacht, Eckpunkte und Gesetzentwürfevorgelegt. Ich nenne dafür drei Beispiele: einFördergesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung, einErneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz und ein Toprunner-Programmin der Energieeffizienz.

Es ist doch nichtssinnvoller, als Öl, Gas und Kohle durchKraft-Wärme-Kopplung doppelt zu nutzen, anstatt die Wärmeeinfach an die Atmosphäre abzugeben. Wer einmal erlebt hat,wie wunderbar es ist, mit erneuerbaren Energien denWärmebedarf zu decken, der kann sich gar nicht mehrvorstellen, wie es vorher war. Zur letzten Idee: Wir müssenunsere Ingenieure darauf ansetzen, in einem dynamischen Wettlaufdie Energieeffizienz von Produkten zu verbessern.

Das wären dreiAnsätze. Ich hoffe, dass auch unser Koalitionspartner nachAbschluss seiner internen Debatten bereit ist, mit uns dieseInstrumente kurzfristig zu beschließen. Schließlichmuss man ins Gelingen verliebt sein und nicht ins Scheitern. Dasgilt vor allem für den Klimaschutz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Nachdem nun endlich passend zum Girls’Day die ersten Anregungen kommen, in was man alles verliebt seinkönnte, erhält nun die Kollegin Renate Künastfür die Fraktion Die Grünen das Wort.

RenateKünast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Sehr geehrter Herr Kelber, ich weiß ja nicht, in welcherKoalition Sie sich bewegen. Ich weiß natürlich, dass es,wenn man selber als Person keine Funktion innehatte - das giltfür Sie und das gilt für Herrn Gabriel -, immer besondersschön ist, zu fragen: Was hat denn die Vorgängerregierung gemacht? - Aber ich sageIhnen eines ganz klar: Wir Grünen treten mit jedem in derganzen Republik gerne in einen Wettbewerb ein, was man hättenoch besser machen können - aber nicht mit Ihnen von der SPD.Denn wir wären in diesem Land bedeutend weiter, wenn IhrAutokanzler, wenn Ihre Wirtschaftsminister unsere Vorschlägenicht für putzig gehalten und uns nicht ständig blockierthätten.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist das, was Sie hier sagen,Geschichtsklitterung.

(Ulrich Kelber (SPD): HerrTrittin hat nicht einmal einen Plan vorgelegt!)

- Ja, schön, Sie hätten denVorgängerumweltminister vielleicht gerne mit einem Planbeschäftigt, um ihn und andere davon abzuhalten, zum Beispielein Erneuerbare-Energien-Gesetz durchzusetzen.

(Ulrich Kelber (SPD): Das hatdas Parlament beschlossen!)

Sie hätten lieber die Macht der Konzernemit Ihrem Personal, das Sie von hier dorthin transportieren,bewahrt.

(Ulrich Kelber (SPD):Nein!)

Das ist die Wahrheit der SPD.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Ulrich Kelber (SPD): DasErneuerbare-Energien-Gesetz ist vom Parlament eingebracht worden!Nicht vom Minister!)

- Ja, das ist vom Parlament eingebrachtworden, aber deshalb, weil diese SPD mit ihren Wirtschaftsministernsozusagen selbst die Handbremse in Ketten gelegt hat, damit siekeiner losmachen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das ist Ihrfrüherer Koalitionspartner!)

Ich war dabei, Herr Kelber.Ich habe in Neuhardenberg gesehen, wie sich Ihre Ministerschmunzelnd in die Sessel legten, wenn man sagte: Wir brauchenBiokraftstoffe. Sie fragten nur: Was soll das denn sein? Wäredas anders gewesen, wäre dieses Land heute weiter.

(Ulrich Kelber (SPD): Ja,ja!)

Ich kann Ihnen nur eineHausaufgabe geben:

(Dr. Peter Ramsauer(CDU/CSU): Sie sind doch keine Lehrerin! Sie tun nur so!)

Befreien Sie sich endlich von Ihrer altenIndustriepolitik. Dann kriegen Sie in der SPD vielleicht wiedereine Basis; sie fehlt Ihnen ja.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN -Ulrich Kelber (SPD): Es ist interessant,wie Sie einen Auftrag des Bundestages kleinreden! Ein bisschen mehrRespekt vor dem Parlament!)

- Ich bin eine frei gewählte Abgeordnete,Herr Kelber, wie auch Sie ein frei gewählter Abgeordnetersind.

(Ulrich Kelber (SPD): Siehaben den Auftrag mit beschlossen!)

- Sie können ihn ja jetzt umsetzen, HerrKelber.

(Ulrich Kelber (SPD): Ja! Dasist heute vorgestellt worden!)

- Ich sage Ihnen eines: Der Trick istvielleicht ganz gut, aber das, was heute vorgestellt wurde, ist esnoch lange nicht, Herr Kelber. Wenn Sie sagen, dass Sie eineFührungsrolle in dieser Republikoder sogar weltweit übernehmen wollen, dann müssen Sieauch Führung zeigen. Aber die Regierung hat sich, obwohl sieimmer sehr schöne Zahlen genannt hat, am Ende sogar noch vonder Kommission treiben lassen müssen. Nur so konnteüberhaupt etwas bewegt werden. Ich habe noch im Ohr, dass HerrBeck zur Bundeskanzlerin sagte: Dann klagen wir eben gegen dieBrüsseler Vorschläge. - Ist Ihnen das nicht peinlich,Herr Kelber?

(Ulrich Kelber (SPD): Und?Was ist gemacht worden?)

Raubt Ihnen das nicht nachts den Schlaf?

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Wir werden auf diesem Gebietsogar von Großbritannien überholt. Selbst China bewegtsich. Arnold Schwarzenegger schickt mittlerweile Leute nachDeutschland, um von uns zu lernen, wie man den Emissionshandel nicht betreiben sollte, HerrKelber. Wir könnten wirklich weiter sein. Selbst dieMitglieder des zuständigen Ausschusses desRepräsentantenhauses reisen nach Deutschland, um von uns zulernen, wie man den Emissionshandel nicht organisieren sollte. DieNeuenglandstaaten, zehn Bundesstaaten der USA, werden abJanuar2009 einen Emissionshandel durchführen. DieEmissionsrechte werden zu 100Prozent versteigert.

Vor diesem Hintergrund lobenSie eine Bundesregierung, deren Umweltminister sich hier hinstelltund sagt: Wir waren zu feige und haben uns - in den Worten KarlValentins - nicht dürfen getraut; wir bitten das Parlament,die 10-Prozent-Versteigerung in die Hand zu nehmen. Ich sage Ihnen:Dabei werden wir Ihnen gerne helfen, der Regierung und auch Ihnen,Herr Kelber.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie dasParlament noch bitten müssen, wenn es um die Versteigerunggeht.

Darüber hinaus wurdevon Ihnen gesagt, Klimaschutz würde nicht wehtun. Was ist daseigentlich für eine Botschaft? Niemand will den Verbrauchernwehtun. Heute tun den Verbrauchern die hohen Nebenkosten fürStrom und Wärme weh, die zu einer Art Nebenmiete gewordensind. An dieser Stelle ist der Klimaschutz eine Lösung desProblems. In diesem Zusammenhang muss man nicht von Schmerzen reden.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Herr Gabriel, wenn Sie sotun, als müsste man den Verbrauchern an dieser Stelle wehtun,ist das eine falsche Botschaft. Wir können und dürfenweder der Wirtschaft noch den Verbrauchern suggerieren, dass esmöglich ist, genauso weiterzumachen wie bisher. Wirmüssen den Transport anders organisieren. Wir müssenanders wohnen. Wir müssen unsere Lebensmittel andersherstellen. Wir müssen ganz anders produzieren, auch dieProdukte, die wir exportieren. Das heißt nicht, dass daswehtun muss. Das bedeutet, dass wir endlich lernen müssen,ganz anders zu denken und die alten Lobbyinteressen fallen zu lassen. Das gilt auchdann, wenn Sie Ihr Personal in den Vorständen haben, liebeKollegen von der SPD.

Das betrifft auch dieKohleprivilegien. Lernen wir endlich,neu zu denken und alles anders zu organisieren. Hier liegt dieLösung, nicht etwa in kleinen Zwischenzielen.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Ulrich Kelber (SPD): Wer hat dieKohleprivilegien denn im ersten Emissionshandelsplanausgehandelt?)

- Dazu sage ich gleich noch etwas.

(Ulrich Kelber (SPD): AllesOriginalvorschläge Trittin!)

Herr Kelber, sehen wir unsdoch einmal an, was Sie vorgelegt haben. Der Nationale Allokationsplan ist ein Trauerspiel.Hier sind Sie kein Vorreiter. Das, was von Ihnen vorgeschlagenwurde - einige haben das schon angesprochen -, bedeutet letztlichein neues Privileg für die Kohle. Warum bekommen Gas und Kohleeigentlich nicht gleiche Rechte? Das ist ein Trauerspiel. Esnützt nichts, wenn Sie an dieser Stelle nur allgemeine Zieleund Prozentzahlen nennen. Packen Sie endlich die Maßnahmenan.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Sie machen lauterTrippelschritte. Herr Kelber, wir haben damals dasmarktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandelseingeführt. Jetzt muss man den nächsten Schritt tun.Deutschland muss als großes Mitgliedsland der EU zeigen, dasses die 10-Prozent-Regelung umsetzt und dass es kein weiteresPrivileg für die Kohle schafft. Dann können Sie sich inBrüssel glaubwürdig dafür einsetzen, dass100Prozent der Emissionsrechte versteigert werden.

(Ulrich Kelber (SPD): Ja, soist es!)

So macht man das und nicht, indem man uns hiermit irgendwelchen Prozentzahlen einlullt. Taten und nicht Wortezählen.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Kauch (FDP) - UlrichKelber (SPD): Genau so ist es!)

Sie müssen dann aberauch einmal loslegen, sich hier hinstellen und sagen: Wir lernen,CO2-frei zu denken. Dann brauchen Sie auch nicht mit einem40-Prozent-Ziel zu kommen, das sich die Regierung gar nicht alsZiel aufgeschrieben hat und das Sie nicht realisieren werden.

(Lachen bei Abgeordneten derCDU/CSU)

- An Ihrem Lachen sehe ich, wie wenige TexteSie lesen; denn der Begriff ?CO2-frei zu denken“ bzw. ?inCO2-freien Lösungen zu denken“ ist durchausüblich.

Wir wollen, dass endlichTaten folgen, und wir sagen Ihnen eines: Wir werden an Ihre Regelnzum Emissionshandel herangehen. Wir wollen ein Moratorium für Kohlekraftwerke; denn wirwollen nicht, dass das Geld jetzt an dieser Stelle investiert undder Klimaschutz über Jahrzehnte blockiert wird, weil kein Geldmehr vorhanden ist.

(Ulrich Kelber (SPD): AufIhrem eigenen Parteitag haben Sie das noch abgelehnt!)

- Dann schauen Sie sich den Beschluss einmalan. - Wir wollen die Kraft-Wärme-Kopplung nutzen, und wirbrauchen an dieser Stelle ein Wärmegesetz. Vor allem brauchenwir aber nicht den Wettbewerb der Zahlen, sondern den Wettbewerbder Maßnahmen. Weg mit den alten Lobbyinteressen!

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Frau Kollegin!

RenateKünast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie lösen die Probleme nicht mit derDenkweise von gestern, Herr Kelber.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Ulrich Kelber (SPD): Das Moratorium haben Sieauf Ihrem Parteitag selbst noch abgelehnt!)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der KollegeDr.Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. ChristianRuck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Nach diesem bemerkenswerten Schlagabtausch ehemaligerKoalitionäre möchte ich zum Ausgangspunkt unserer Debattezurückkommen.

(Ulrich Kelber (SPD): Dasehen Sie einmal, wie koalitionstreu wir sind!)

Der von Menschenhandverursachte Klimawandel erzeugt auf dieser Erde etwas, was allebisherigen geschichtlichen Dimensionen sprengt. Die Kosten undGefahren sind gewaltig. Allein für Deutschland werden bis 2050Schäden in Höhe von 800Milliarden Eurogeschätzt. Die sozialen und wirtschaftlichen Risiken auf demgesamten Erdball sind völlig unkalkulierbar.

Aus unserer Sicht ist dieAntwort der Staatengemeinschaft auf dieses gewaltige Risikofür Milliarden von Menschen - auch für unsere Kinder undEnkel - bisher völlig unzureichend. Allein von den weltweitgrößten zehn CO2-Emittenten sind derzeit nur vier vomKiotoprotokoll erfasst. EntscheidendeLänder sind bisher überhaupt keine wirksame Verpflichtungeingegangen. Dieses oft kleinkarierte internationale Geschachere umVorteile in den Klimaschutzverhandlungen ist dem Ernst der Lage inkeiner Weise angemessen. Im Gegenteil: Es ist manchmal zynisch undmenschenverachtend.

Ein Lichtblick ist in derTat das, was sich Deutschland und Europa vorgenommen haben. Auch hier sind nochviele Hausaufgaben zu machen, aber es gibt ehrgeizige Ziele,große Anstrengungen und auch große Erfolge. Auch dieErfolge, die in den letzten Jahren in Deutschland erzielt wordensind, machen Mut. Das, was Bundeskanzlerin Merkel auf EU-Ebene indiesem ersten Vierteljahr des Vorsitzes hier erreicht hat, istwirklich ein historisches Ereignis. Dafür möchten wirnoch einmal unsere ausdrückliche Anerkennungausdrücken.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, mit diesemBeschluss haben wir auch die Grundlage dafür geschaffen, dassDeutsche und Europäer eine Chance haben, die Klimapolitikweltweit zu beeinflussen. Dazu sind aber zwei Voraussetzungennötig:

Erstens. Dieeuropäische Klimapolitik muss ein attraktives Vorbild und keinsinnloses Opfer sein.

Zweitens. Wir müssenärmere Länder in die Lage versetzen, ihren Schutzbeitragzu leisten.

Wann sind wir nun einattraktives Vorbild? Ich gebe demKollegen Kelber Recht: Wir sind dann ein attraktives Vorbild, wennwir das Erreichen unserer ambitionierten Klimaschutzziele mitVersorgungssicherheit und bezahlbaren Energiepreisen verbinden,sprich, wenn wir Klimaschutz mit ökonomischer Effizienz undtechnischem Fortschritt verbinden.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist genau das, was dieUnion seit Jahren vertritt und was auch die Bundesregierung jetztdurchsetzen möchte.

Auch ich bin der Meinung,dass ein europäisches Emissionshandelssystem eine richtige undeffiziente - weil marktkonforme - Option ist, um das zu erreichen.Es ist aber nur dann eine Option, wenn es richtig gemacht wird.Wann wird es richtig gemacht? Es darf nicht durch Ausnahmen totalverwässert werden. Es muss die tatsächlichenHauptemittenten erfassen, und zwar inklusive des Luftverkehrs. Esmuss möglichst am Anfang der Wertschöpfungsketteansetzen, und die Emissionsobergrenzen müssen die politischenZiele der Europäischen Union glaubhaft widerspiegeln. Einfunktionierender Emissionshandel setzt - zum Beispiel auf demeuropäischen Strommarkt - auch einen funktionierendenWettbewerb voraus. Nur bei einem angemessenen CO2-Preis und beifunktionierendem Wettbewerb können größere sozialeVerwerfungen vermieden werden und gibt es auch den notwendigenAnreiz für technologische Innovationen.

An dieser Stelle möchteich unserem Wirtschaftsminister Michael Glos danken, dass er dieEinbeziehung dieses Wettbewerbsgesichtspunkts auf europäischerEbene zu einem seiner Hauptanliegen gemacht hat. Wir brauchen inder europäischen Energiepolitik eine stärkere Abstimmung.Das gilt auch für die Förderung regenerativer Energien.Auch sie müssen Teil eines funktionierenden europäischenWettbewerbs sein. Richtig ist für mich auch,Emissionszertifikate in zunehmendem Maße zu versteigern,

(Beifall bei derCDU/CSU)

und zwar nicht zuletzt, weilunerlässliche Klimaschutzprojekte im Bereich von Forschung undEntwicklung - viele davon wurden schon genannt -, zum Beispielbetreffend den Waldschutz, nicht umsonst zu haben sind. Wenn unsgroße Energieunternehmen vor erhöhten Strompreisenfür die Endverbraucher warnen, so müssen sie sich fragenlassen, ob sie diese Erhöhungen nicht schon längst imVorgriff auf eine mögliche Versteigerung eingepreist haben.Jedenfalls ist eines klar: Nichts zu tun und zuwarten oder zu wenigzu tun, wird für den Endverbraucher schon in kurzer Zeit vielteurer als das, was uns jetzt als Hirngespinst an die Wand gemaltwird.

Wir von der CDU/CSU setzenzum Beispiel auf die Weiterentwicklung der Energieeinsparungen imGebäudebereich, auf den Durchbruch bei derKraft-Wärme-Kopplung, auf die Entwicklung einer zweitenGeneration der Biomassetechnologie hin zu noch sparsamerenAntriebsmethoden und auf moderne Kraftwerkstechnik. Mit einemsolchen Paket an Wettbewerbsvorteilen durch ein europäischesModell erhoffen wir uns - ich glaube: zu Recht - eine Sogwirkung.So müssen sich zum Beispiel andere Hauptemittenten wie dieAmerikaner uns schon aus Wettbewerbsgründen anschließen.Mit einem solchen Modell erhoffen wir uns auch die notwendigeTechnologie und die Finanzmittel dafür, auch den ärmerenLändern - den Entwicklungs- und Schwellenländern -gezielt zu helfen, ebenfalls ihren Beitrag zum Klimaschutz zuerbringen. Ein Beispiel hierfür ist dieKohlenstoffspeicherungstechnologie. Ich glaube, dass dieEinbeziehung der Entwicklungs- undSchwellenländer in den Klimaschutz von ganzentscheidender Bedeutung sein wird, und zwar nicht nur wegen dergewaltigen Verwerfungen und Risiken, die vor allen diesenLändern durch die Folgen der Klimaveränderung drohen. DieEinbeziehung dieser Länder ist auch von Bedeutung, weil derSchlüssel für den Klimaschutz teilweise tatsächlichim Süden liegt.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Dort sind Gelder fürKlimaschutzmaßnahmen am effizientesten angelegt. Dortbrauchen wir zum Beispiel in den Bereichen Technologie und Beratungeine verstärkte Zusammenarbeit. Es ist ein Durchbruch, dasswir für China eine Art Einspeiseverordnung mit beraten unddurchgesetzt haben. Das ist auch für die Zukunft Chinasungeheuer viel wert. Schließlich müssen wir versuchen,den Schutz der Wälder auch in den Entwicklungsländernviel stärker durchzusetzen. Allein hier gibt es einEinsparungspotenzial von 20Prozent, das mit relativ geringenMitteln erzielt werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin der Meinung, dassder ganze CDM-Prozess immer noch viel zu kompliziert ist. Auch hiergibt es viele Hausaufgaben.

Kurz gesagt, der Schutz vonKlima und Schöpfung ist meiner Ansicht nach mit diegrößte Herausforderung der Politik in den nächstenJahren und vielleicht in den nächsten Jahrzehnten. Hier istmit Ideologie und Feigheit nichts zu erreichen; vielmehrmüssen wir gemeinsam pragmatisch und entschlossen vorgehen.Insofern hat unsere Bundeskanzlerin für den G-8-Gipfel unseregeballte Rückendeckung.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter ist dienächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei derLINKEN)

EvaBulling-Schröter (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bilanz der deutschen Klimapolitik misst sich an denFakten, und zwar an den tatsächlichen Einsparungen anTreibhausgasen; dazu hat Gregor Gysi vorhin das Wesentliche gesagt.Kurz gefasst, wir liegen bei den CO2-Emissionen über demNiveau von 1999. Noch einmal: Ohne den Osteffekt würden wirinternational schön dumm dastehen.

Diese ernüchterndeBilanz ist - das können wir Ihnen nicht ersparen - auch eineBilanz der rot-grünen Vorgängerregierung. Ich finde, wer7Prozent mehr Emissionsrechte verteilt, als von denUnternehmen zwischen 2000 und 2002 überhaupt CO2ausgestoßen wurde, wer zudem langfristige Privilegienfür die Kohle festschreibt und dann auch noch die Zertifikatevollständig verschenkt, braucht sich über dieses Ergebnisnicht zu wundern. Wir haben hier erlebt, dass Sie sich gegenseitigdie Schuld zuschieben. Das nützt uns gar nichts. Wirmüssen das besser machen - Sie waren damals in derVerantwortung - und daraus die Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei derLINKEN)

Jetzt zum ungebremstenWachstum des Straßengüterverkehrs und desFlugverkehrs. Da wird offensichtlich,dass in den letzten Jahren in Sachen Klimapolitik einigesschiefgelaufen ist. Das Statistische Bundesamt sagt, es habe imletzten Jahr 6,5Prozent mehr Flugverkehr gegeben. Was tunSie? Sie weisen weitere Flughäfen aus. Diese werden staatlichfinanziert. Hier muss ein Umdenken erfolgen. Wenn wir das wirklichwollen, müssen die Finanzströme anders fließen, zumBeispiel auch im Zusammenhang mit dem Ausbau des MünchenerFlughafens.

(Beifall bei derLINKEN)

Natürlich erkennen wiran, dass es durch das EEG einen gewaltigen Zuwachs an Strom ausWind, Wasser, Biomasse und Fotovoltaik gegeben hat. Diese Politikmüssen wir ausbauen; diese Politik unterstützen wirweiter.

Doch allein über dasEEG ist eine Energiewende nicht hinzubekommen. Man muss sich mitden Konzernen dort anlegen, wo es richtig weh tut. Genau um dasgeht es.

(Beifall bei derLINKEN)

Ein anspruchsvoller Emissionshandel wäreso etwas - oder auch eine wirksame Begrenzung des Flug- oder desSchwerlastverkehrs. Da muss man eben ran.

Aktuell geht es aber vorallem darum, zu verhindern, dass in Deutschland 44 neueKohlekraftwerke - ich wiederhole: 44- gebaut werden. Diese geplanten Kraftwerksneubauten würdenbis 2020 einen Anstieg über das CO2-Niveau von 1990 bedeuten.Bis zur Mitte des Jahrhunderts würde dieser KraftwerksparkJahr für Jahr gut 100Millionen Tonnen mehr CO2 in dieAtmosphäre blasen, als laut dem Reduktionsziel derBundesregierung erlaubt ist. Würden diese Kraftwerke gebaut,dann wären die Weichen der deutschen Klimapolitik für einhalbes Jahrhundert gestellt; denn sie laufen dann 40, 50 oder60Jahre. Das wissen Sie, meine Damen und Herren.

Mich interessiert an dieserStelle: Wie kommt es eigentlich zu diesen Planungen? Herr Gabrielsagt, wir befänden uns auf dem richtigen Pfad. Wenn das soist, dann würden die Energieversorger doch gar nicht aufsolche Ideen kommen. Oder ist es so, dass der Emissionshandel dieseüberhaupt nicht interessiert? Den Energieversorgern wird estotal leicht gemacht; denn sonst wären solche Planungen garnicht möglich.

Zum Glück hat dieEU-Kommission kürzlich zumindest die größten Fehlerdes deutschen Zuteilungsplans für die nächsteHandelsperiode beseitigt. Die Gesamtobergrenze, das Cap, istdeutlich gesenkt worden. Es ist verboten worden, die Kohlemeiler14Jahre lang zu privilegieren. Wir begrüßen dassehr und haben das unterstützt. Aber nun will dieBundesregierung wiederum der Braunkohle einen Bonus zuschanzen. Wirhaben über die CO2-Bilanz gesprochen. Bedenken Sie, was Sie datun! Bedenken Sie, was Sie damit anrichten! Anscheinend hat dieseBundesregierung keine Lust auf ernsthafte Konflikte mit denEVUs.

In anderen Sektoren gäbe es eine Vielzahlvon Minderungsoptionen. Die müssten jetzt einfach angegangenwerden. Dazu liegen Anträge vor; da muss gehandelt werden. ZumTeil ist das - das sage ich an die Haushälter gewandt - nichteinmal mit Kosten verbunden.

Wir meinen, dass in diesemBereich etwas getan werden muss, und haben ein Sofortprogrammvorgelegt, über das wir abstimmen können. Wir haltenfür die Zukunft eine energetische Schwerpunktsetzung aufSonne, Wind, Biomasse und Wasser für notwendig, die auch derVolkswirtschaft nutzen wird. Das wissen wir nicht erst seitNicholas Stern. Auch vor dem letzten IPCC-Bericht war schonbekannt, dass wir eine Abkehr von fossilen Energien brauchen. Dieinternationalen Konflikte wurden schon angesprochen.

Es gilt, das Ruderherumzureißen. Wir müssen das gemeinsam tun, aber dasmuss in einer Weise erfolgen, dass die Bürgerinnen undBürger in diesem Land den Prozess unterstützen. Dann mussauch damit Schluss sein, dass in einkommensschwachen Haushalten imnächsten Winter, der vielleicht sehr kalt wird, Energiearmutherrscht oder dass es sich Kinder nicht mehr leisten können,mit dem Bus zu ihrem Sportverein zu fahren. Es geht nicht an, dassEnergiekonzerne Zusatzgewinne in Milliardenhöhe aus demEmissionshandel erzielen, wenn gleichzeitig dieses Geld an andererStelle dringend gebraucht wird.

(Beifall bei derLINKEN)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen MarcoBülow, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Marco Bülow(SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einemZitat:

Gerade unter den Nationen, die sichfür die zivilisiertesten halten und die sich dergroßartigsten Fortschritte in der Wissenschaft rühmen,finden wir die größte Apathie und die größteRuchlosigkeit, was das ständige Verschmutzen der wichtigstenaller Lebensnotwendigkeiten angeht.

Das ist kein neues Zitat. Es ist eineFeststellung von Alfred Russel Wallace von 1903. Leider haben ihngenau die Nationen, die hier angesprochen wurden, in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht Lügen gestraft. Wir haben erlebt,dass die Wälder abgeholzt, die Meere überfischt wurdenund unsere Umwelt verschmutzt wurde, wobei wir lange Zeit nichteingegriffen haben.

Seit 30Jahren gibt esGott sei Dank eine andere Diskussionsgrundlage: Man sprichtüber den Umweltschutz und entsprechende Maßnahmen.Gerade auch in diesem Land wurden viele wichtige Maßnahmenauf den Weg gebracht, um dieses Vorgehen und die damit verbundenePolitik zu ändern.

Allerdings müssen wirauch resümieren, dass wir für den Klimaschutz in denletzten 30Jahren nicht besonders viel getan haben, obwohl dieErkenntnisse zugenommen haben und wir immer besser wissen, was derKlimawandel anrichtet. Er wird viel mehr anrichten als das, was inden letzten Jahrzehnten oder im letzten Jahrhundert passiertist.

Deswegen ist Handeln - undzwar vor allem gemeinsam - das oberste Gebot. Es nützt nichts,Frau Künast, wenn wir uns jetzt zerfleischen und darüberreden, was in den letzten Jahren falsch gemacht worden ist. Wirmüssen vor allem darüber reden, was wir gemeinsam in dernächsten Zeit richtig machen müssen.

(Beifall bei der SPD - RenateKünast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Satz hättemit ?Kelber“ anfangen müssen: Es nützt nichts, HerrKelber!)

Ich freue mich überjeden, der bis vor kurzem noch eine andere Politik betrieben hatund für den Klimawandel und Umweltschutz kein Thema war, deraber heute darüber redet und es ernst meint. Ich weiß,dass das viele tun, und zwar in allen Fraktionen. So müssenwir die Zukunft gestalten.

Wir müssen mitFingerspielen im Sinne von ?Wer hat Schuld?“ oder ?Wer machtmehr?“ aufhören, aber auch mit dem Motto: Die anderenemittieren viel mehr CO2; deswegen müssen wir am Anfang nichtstun. Oder: Die sind noch viel schlimmer als wir; die Amerikanerverbrauchen noch viel mehr. - Ich denke, jetzt geht es darum, wermutig ist und vorangeht.

Wir müssen vor allen Dingen lernen, wiedie immer noch Ewiggestrigen und die Zauderer und Zögererüberzeugt werden können, das Richtige zu tun. Ich willauf einige Punkte eingehen. Es gibt zum Beispiel immer noch dasArgument, Erderwärmung habe esimmer gegeben und es werde sie auch in Zukunft geben; wie viel derMensch dazu beitrage, sei nicht so wichtig. Erderwärmung hates in der Tat immer gegeben. Es gab schon Eiszeiten, als es nochkeine Menschen gab. Das ist alles richtig. Erderwärmung wirdes auch in Zukunft geben, auch ohne Menschen. Denn die Natur wirdnicht zerstört. Wir zerstören nur die Lebensgrundlagender Menschen. Das heißt, Klimaschutz bedeutet in erster Linieweder Umweltschutz noch Naturschutz, sondern Menschenschutz. Ichdenke, wir haben die egoistische Verantwortung, dafür zusorgen, dass die Menschen auch weiterhin auf diesem Planeten lebenkönnen. Die Natur wird immer einen Weg finden, auch ohne unsund trotz Klimawandels. Deswegen müssen wir vor allen Dingendafür sorgen, dass wir unsere Lebensgrundlagenschützen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt. Es wirdgesagt, wärmere Temperaturen seien doch ganz gut, dannkönne man sich draußen hinsetzen, auch schon im April.Wir erleben das gerade. Außerdem sei es schön, wenn wirhier irgendwann Rotwein, Cabernet Sauvignon, usw. anbauenkönnen. Das alles sind schöne Phrasen. Wenn ich das heutein Zeitungen wie ?Welt“ und ?FAZ“ lese, dann muss ichsagen: Die Leute haben nichts dazugelernt.

Denn ich weiß nicht,ob es den Menschen gefällt - ich lebe im Ruhrgebiet, also ineiner Gegend, in der ganz viele Menschen zusammenleben -, dass einSommer wie der im Jahr 2003 in 20 Jahren ein Durchschnittssommersein wird. Der Sommer 2003 bereitete vor allen Dingen älterenMenschen und kleinen Kindern große Probleme, weil er soheiß war. Wenn das ein Durchschnittssommer wird, glaube ich,müssen wir dazulernen. Wir werden merken, dass es nichtunbedingt so schön ist, draußen zu sitzen. Auf Rotweinkönnen wir verzichten. Den kann man aus anderen Ländernimportieren. Außerdem hat Deutschland sehr gutenWeißwein und teilweise auch Rotwein.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN): Badischen!)

Deswegen, glaube ich, sind das die falschenArgumente in dieser Debatte.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Ein weiterer Punkt, den ichauch nicht mehr hören kann, ist folgender: China verbraucht seine Kohlereserven sowieso,dann sollten sie es lieber mit unserer Technologie tun. Ja, es istmit unserer Technologie ein bisschen besser. Aber wenn China seineKohlereserven verbraucht - egal mit welcher Technologie -, wirddiese Erde nicht mehr zu retten sein. Wir müssen mit anderenTechnologien vorangehen. Bis dahin müssen wir mit dervorhandenen Technologie arbeiten, zum Beispiel mitKraft-Wärme-Kopplung. Gleichzeitig müssen wir andereTechnologien wie die erneuerbaren Energien und solche zurEffizienzsteigerung voranbringen, sodass die Chinesen irgendwannaufhören, ihre Kohle komplett zu verbrennen. Ansonstenbrauchen wir die Diskussion über Klimawandel und Klimaschutznicht mehr zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Zum Schluss lassen Sie michbezüglich Klimaschutz und Atomkraft auf Folgendes hinweisen - ich will dazunur ein Argument nennen -: Wenn wir in diesem Jahr einen Sommer wie2003 erleben - vieles deutet darauf hin; vielleicht wird er sogarnoch ein bisschen heißer -, dann möchte ich vor allenDingen in Frankreich die Diskussion erleben, wenn zum einen dasWasser knapp wird und zum anderen das wenige Wasser, das vorhandenist, stark erwärmt ist. Dann wird es eine Diskussiondarüber geben, die Kraftwerke abzuschalten. Dann wird der sobillige Atomstrom auf einmal schweineteuer. Das wird zu erheblichenEngpässen führen. Ich bin froh, dass wir schon jetzt nurnoch einen Anteil des Atomstroms von 25Prozent haben. Jeweniger wir haben, desto weniger Probleme werden wir in denzukünftigen Sommern haben.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wallace hatte 1903 zwarrecht, aber wir müssen dafür sorgen, dass wir in 20, 30Jahren sagen können: Die sogenannte zivilisierte Weltinsgesamt und die Länder mit dem größtenFortschritt sind vorangegangen und haben versucht, ihre Fehlergutzumachen, und zwar gemeinsam.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr.Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. ReinhardLoske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Marco Bülow hat natürlich recht: Man sollte denBlick nicht zu sehr nach hinten richten und darüberlamentieren, wer früher was gesagt hat. Aber wenn jetztbeispielsweise Herr Kauch sagt, es sei schön, dass dieEU-Kommission die Emissionsrechte weiter kürzt, erinnert mansich schon daran, wie Frau Homburger hier früher darübergeklagt hat, dass der Emissionshandel die deutsche Industrie in dieKnie zwingt. Man muss schon bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn sich Frau Reiche - ich weiß nicht,ob sie noch anwesend ist - jetzt als die Freundin der erneuerbarenEnergien hinstellt, erinnert man sich an die Diskussion in derletzten Legislaturperiode, als dieses Gesetz in Grund und Bodengeredet wurde. Wenn es dieses Gesetz nicht gegeben hätte,hätte es diesen starken Aufwuchs nicht gegeben. DiesesAuseinanderklaffen von Worten und Taten ist schon enorm.

Kollege Kelber, Sie wissen,dass ich Sie schätze, aber die Position, die Sie hier zubeziehen versuchen - die Sozialdemokratie sei in Wahrheit dieTreiberin beim Klimaschutz gewesen, und die Grünen hättendas leider nicht mitgemacht -, verkennt die fundamentale Tatsache,dass es vor allen Dingen Ihre Minister waren, die uns beimKlimaschutz einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beinegeworfen haben. Bei dieser Wahrheit muss man schon bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Ich will, weil die Redezeitknapp bemessen ist, jetzt vor allem auf dieRegierungserklärung des Umweltministers eingehen. Sie warinteressant und hat viele richtige Elemente enthalten. Gerade das,was der Minister zu den Zielen und zur internationalen Kooperationgesagt hat, können wir ausdrücklichunterstützen.

Einen Punkt finde ichallerdings falsch. Sie stellen in Ihrer Argumentation dieTechnik gegen den Lebensstilwandel. Das ist völliger Quatsch.Wir brauchen natürlich beides. Wir brauchen technischeInnovationen auf allen Ebenen: erneuerbare Energien,Effizienzsteigerung, Einsparungen, Kraft-Wärme-Kopplung etc.pp. Aber wir brauchen auch Veränderungen im Lebensstil. Ichmöchte Sie bitten, diese Punkte nicht so scharf voneinanderabzugrenzen nach dem Motto: Hier sind die Verzichtsapostel, da sinddie Technikfreunde. Die Wahrheit ist: Wir brauchenLebensstilveränderung und technische Innovation. Wir finden,dass das gut zusammenpasst.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Man hat heutzutage manchmalden Eindruck: Es gibt in Deutschland keine Parteien mehr; es gibtnur noch Klimaschützer. Wenn es so wäre, wäre dasauch gut; darüber gäbe es gar nichts zu klagen. Aber ichwill schon noch einmal auf die einzelnen Punkte eingehen, die dieRegierung in den letzten Monaten vorangetrieben hat.

Beim Klimaschutz imAutomobilsektor, derCO2-Emissionsgrenze für Autos, beispielsweise haben Sie inBrüssel ganz massiv auf der Bremse gestanden und das Gegenteilvon dem getan, was Sie hier gesagt haben. Das war nichtglaubwürdig; das muss man ganz klar sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Beim Emissionshandel musstenSie auf der einen Seite von der Kommission zum Jagen getragenwerden, und auf der anderen Seite versuchen Sie jetzt durch dieHintertür, heimlich Braunkohleprivilegien einzuführen.Auch das ist nicht glaubwürdig, finden wir.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir denEnergiepass für Gebäude,der gestern im Kabinett verabschiedet worden ist. Die vollkommenrichtige tragende Idee dabei ist, dass die CO2-Werte bzw. dieenergetischen Qualitäten eines Gebäudes sich auch imImmobilienwert und in den Mieten widerspiegeln können. Aberwas Sie gestern mit dem Energiepass verabschiedet haben, ist nichtsHalbes und nichts Ganzes. Die Leute wissen am Ende gar nicht, obein Gebäude energetisch gut oder schlecht ist. Auch das mussnoch geändert werden, wie wir finden.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Ein weiteres Thema ist dasTempolimit; das ist heute noch garnicht zur Sprache gekommen.

(Jörg van Essen (FDP):Gott sei Dank!)

Ich finde es nicht gut, wenn Sie - der HerrKollege Tiefensee ist nicht da; das gilt aber auch für Sie,Herr Minister Gabriel - die Klimaschutzwirkungen des Tempolimitsimmer wieder herunterspielen. Das ist falsch. Es gibt zwei starkeArgumente. Das erste Argument ist: Wenn wir ein Tempolimit von120Stundenkilometern auf Deutschlands Autobahneneinführen würden, würde sich das bezüglich derCO2-Emissionen mit einer Senkung um 9Prozent auswirken. Dakönnen Sie nicht sagen, das sei nur Symbolpolitik. Es wundertmich wirklich, dass Sie als Umweltminister das behaupten.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Jörg van Essen (FDP): 90Prozent derAutobahnen haben doch schon Geschwindigkeitsbegrenzungen!)

Das zweite Argument ist nochviel wichtiger: Wenn wir ein Tempolimit hätten - als einzigesIndustrieland der Welt haben wir heute keines, das muss man sicheinmal vorstellen; wir haben da wirklich den zivilisatorischenFortschrittszug verpasst -, dann würden auch Automobile andersgebaut; wenn sie auf Spitzengeschwindigkeiten von 150 und nicht von250Stundenkilometern ausgelegt würden, würden sichdie Konstruktionsprinzipien ändern. Dann bräuchte manweniger Material, wir hätten weniger Energieverbrauch, und wirkönnten mehr für den Klimaschutz tun. Das heißt,der Sekundäreffekt eines Tempolimits ist riesengroß.Geben Sie da endlich Ihre Blockadehaltung auf; denn sie istfalsch!

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Ulrich Kelber (SPD): Er unterstütztlängst das Tempolimit!)

Zur Atomenergie. Ich kann das jetzt hier nicht imEinzelnen ausführen; aber ich rege zu folgendem gedanklichenExperiment an. Die Kollegen von der Union und von der FDP tun immerso, als sei die Atomenergie der ?CO2-Helfer“. Denken Sieeinmal genau anders herum! Die Wahrheit ist nämlich: Wenn wirjetzt wieder die Schleusen für die Atomenergie aufmachen, istdas nichts anderes als eine Barriere, eine regelrechte Mauer inBezug auf Neuinvestitionen in erneuerbare Energien undEnergieeffizienz. All die, die jetzt in den Startlöchernsitzen - bezüglich der Investitionen in erneuerbare Energien,Energieeffizienz, Kraft-Wärme-Kopplung, Blockheizkraftwerke,Brennstoffzellen -, würden dadurch ein ganz schlechtes Signalbekommen; man würde ihnen einen Knüppel zwischen dieBeine werfen. Also lassen Sie das bitte sein!

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Kelber (SPD))

Mir fehlt die Zeit, ummeinen letzten Punkt - CCS, die Kohlenstoffabscheidungstechnologie - in allerBreite auszuführen. Das ist für uns vor allen Dingen einForschungsthema und kein energiepolitisches Thema. In dennächsten 15Jahren, wenn der Löwenanteil anInvestitionen im Kraftwerksbereich vorgenommen wird, steht dieseCCS-Technologie, also Kohlenstoffabscheidung in Kohlekraftwerkenund dessen Endlagerung, nicht zur Verfügung. Deswegen ist dasim Moment mehr ein Ablenkungsmanöver als reale Klimapolitik.Darauf lassen wir uns auf gar keinen Fall ein.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Deshalb möchte ichabschließend sagen: Die Regierungserklärung war insoferngut, als sie klare Ziele formuliert hat. Aber dass sie schon mitklaren Maßnahmen unterlegt worden wäre, wie Sie sagen,Herr Kollege Kelber, ist nicht der Fall. Vieles bleibt im Vagen, imDiffusen. Nach wie vor klaffen Worte und Taten bei Ihnen ziemlichdeutlich auseinander. Das werden wir als Opposition genaubeobachten und auch beim Namen nennen. Wir werden vor allen Dingeneigene Vorschläge machen, wie wir das bisher auch bei allenanderen möglichen Bereichen schon getan haben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr.Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege FrankSchwabe, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Frank Schwabe(SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! GeehrteDamen und Herren! Die Zeit läuft. Beim Umgang mit demKlimawandel handelt es sich in der Tat um eine historische Aufgabe.Das ist heute schon deutlich geworden. Durch dieVeröffentlichungen des Weltklimarates in den letzten Wochensind drei Dinge ganz deutlich geworden:

Erstens. Das Zeitfenster für dennotwendigen grundlegenden Umbau unseres Energiesystems ist klein.Es ist unsere Aufgabe, heute für Veränderungen zusorgen.

Zweitens. Der Umgang mit demKlimawandel kostet schon jetzt; er wird weiter kosten - so oder so.Es ist aber viel teurer und möglicherweise nicht mehrvernünftig zu steuern, wenn wir nichts oder nur sehr wenigtun. Das hat spätestens der Stern-Bericht deutlichgemacht.

Drittens. Es ist richtig:Die Schwellen- und Entwicklungsländer werden dieIndustrieländer in den nächsten Jahren beim Ausstoßvon Treibhausgasen überholen. Deutschland ist ?nur“für 3Prozent verantwortlich. Aber wir haben es in derHand - es ist wie beim Dominoeffekt -: Wir müssen deutlichmachen, dass Wohlstand, ein hoher Lebensstandard und eineklimafreundliche Lebensweise zusammenpassen. Die Zahlen überden Pro-Kopf-Ausstoß in China, Amerika und Deutschland sindschon genannt worden. Wir sollten uns angesichts dieser Zahlennicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Wir haben noch unsereHausaufgaben vor Ort zu machen.

Deshalb ist es richtig, dasssich Deutschland zu einer Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um40Prozent verpflichtet. Frau Künast, warum loben Sie daseigentlich nicht? Herr Kauch, warum sagen Sie dazu eigentlichnichts? Kann es sein, dass die FDP ein solches Ziel nicht vertritt?Sie haben viel geredet, aber es wäre ganz gut, wenn Sie einmalsagen würden, mit welchen Positionen man in dieinternationalen Verhandlungen gehen sollte. Wir sind vielleichtgemeinsam auf der Weltklimakonferenz in Nusa Dua, Indonesien. Eswäre ganz gut, wenn sich die FDP zu diesen Zielen bekennenwürde.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Sigmar Gabriel alszuständiger sozialdemokratischer Umweltminister hat sich nichtnur heute, sondern bereits schon auf der Weltklimakonferenz Endedes letzten Jahres in Nairobi dazu bekannt und damit - die dortanwesend waren, haben es mitbekommen - begeisterte Reaktionen imSaal ausgelöst, und zwar deshalb, weil damit deutlich wurdeund wird: Wir wollen, dass alle mitmachen, und es müssen allemitmachen. Aber Deutschland erkennt seine Verantwortung alsgroßer Industriestaat an. Deutschland erkennt auch dieökonomischen, vor allem die sozialen und ökologischenChancen, die mit einer konsequenten Bekämpfung desKlimawandels verbunden sind. Wir beenden das Schwarze-Peter-Spieldes ?Geh du voran - wir warten ab“. Das ist die großeVerantwortung, die wir gemeinsam im Hause tragen.

Das deutsche Bekenntnis zuden 40Prozent ist das Pfand dazu, dass die Bundeskanzlerinund der Bundesumweltminister in der Lage sind, die internationaleKlimadebatte auf dem G-8-Gipfel und dann bei der Weltklimakonferenzin Indonesien in Gang zu bringen.

Zu den einzelnenMaßnahmen, die heute vorgestellt wurden - ich denke, das istin sehr umfassender Weise geschehen -, will ich im Einzelnen nichtssagen. Ich möchte nur erwähnen, dass wir nationalentsprechend handeln müssen, wenn wir mit unserenReduktionszielen glaubwürdig sein wollen. Deshalbbegrüße ich es ausdrücklich, dass Minister Gabrielheute ein Acht-Punkte-Paket vorgelegt hat. Damit ist eine Senkungum 270Millionen Tonnen im Bereich der Treibhausgaseverbunden. Wir werden als Sozialdemokraten auf eine schnelleUmsetzung drängen.

(Vorsitz: VizepräsidentDr. Hermann Otto Solms)

Ein Mittel dazu ist derEmissionshandel mitCO2-Verschmutzungsrechten. Es ist schon eingestanden worden, dasser bisher - man kann lange darüber streiten, woran das liegt -nicht sehr effektiv war. Lobbyinteressen haben sich durchgesetzt.Aber wir haben hinzugelernt, sicherlich auch mithilfe von klarenHinweisen aus Brüssel, die im Übrigen für fast alleStaaten Europas galten.

Das Signal des jetzigenPlans an die Investoren, an die Wirtschaft und an die Börsenist klar: Die Anzahl der Verschmutzungsrechte geht massiv nachunten. Stellt euch also ab 2008 darauf ein, dass es wenigerVerschmutzungsrechte gibt! Seid euch im Klaren, dass es ab 2013noch massiver nach unten gehen wird! Das ist politisch geboten undökonomisch machbar und löst im Übrigen weitereInnovationen aus. Wer sich frühzeitig darauf einstellt, wirdVorteile haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin mir sicher: Nebendieser Verknappung der Zertifikate brauchen wir noch ein weiteresSignal, das wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gebenmüssen. Das CO2 braucht einen Preis, und es braucht einenfunktionstüchtigen Mechanismus, mit dem der Preis gebildetwerden kann. Alle mit dem Thema befassten Umweltökonomen -mittlerweile auch viele gesellschaftlichen Gruppen wie zuletztVertreterinnen und Vertreter der evangelischen und der katholischenKirche - haben sich dafür ausgesprochen. Ichbegrüße es daher - es wäre gut, wenn dies nochandere begrüßen würden, statt nurherumzulamentieren -, dass sich der Bundesumweltminister nicht nurin Interviews in den letzten Tagen, sondern auch heute in derRegierungserklärung klar für die Versteigerung von Zertifikaten ausgesprochen hat.Ich habe den Eindruck, die Opposition, die das gerne zum Hauptthemain den nächsten Wochen gemacht hätte, ist auf demfalschen Fuß erwischt worden. So sind diese relativemotionalen Reaktionen zu erklären.

Die Krokodilstränengerade der Energieversorger sind an vielen Stellen, aber besondersan dieser Stelle fehl am Platze. Mit einem Versteigerungsanteil von10Prozent machen wir nichts anderes, als 10Prozent derungerechtfertigten Zusatzprofite der letzten Jahreabzuschöpfen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Es ist völlig klar: ImRahmen der Versteigerung kann Deutschland seine wahreeuropäische Vorreiterrolle beweisen. Kollege Gysi hat vorhinbehauptet, in Europa würden alle in vorbildlicher Weisevorangehen. Das ist mitnichten so. Warum können in Europahöchstens 10Prozent versteigert werden? Es gab ja eineRichtlinie. Einige Minister haben sich in ihremVerantwortungsbereich - ich will das nicht näherausführen - nicht durchsetzen können, sodass nicht mehrversteigert werden konnte.

Für dieeuropäische Debatte ist es meines Erachtens sehr wichtig,dieses Signal jetzt zu setzen. Wir als Deutschland müssenmutig vorangehen. Wer eine umfassende Versteigerung nach 2012für richtig hält, muss jetzt dafür sorgen, dass eshier in Deutschland den Einstieg gibt. Das Parlament hat in diesemZusammenhang in den nächsten Wochen eine besondereVerantwortung; dessen sollten wir uns bewusst sein.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Als nächster Redner hat der KollegeAndreas Jung von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Andreas Jung(Konstanz) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bis vor einiger Zeit war Klimawandel ein Thema, dasvornehmlich lokale Agenda-Gruppen bei ihren mehr oder weniger gutbesuchten monatlichen Treffen beschäftigte.

(Renate Künast(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mich hat das immerbeschäftigt!)

In der letzten Woche hat sich derSicherheitsrat der Vereinten Nationen zum ersten Mal mit demWeltklima befasst. Diese Gegenüberstellung zeigt, welcheDramatik die Debatte um Klimaschutz erreicht hat, und zwar zuRecht, wie ich finde; denn wir erkennen die ökologische Dimension in vielgrößerer Tragweite als noch vor einigen Jahren. Heutewissen wir: Der Klimawandel findet statt. Er hat uns erreicht. Erbeschleunigt sich. Am Ende wird es nur Verlierer geben.

Hinzu kommt, dass wirspätestens seit Nicholas Stern wissen, dass es auch einewirtschaftliche, eine ökonomischeSeite gibt. Seine Botschaft ist klar und deutlich: Nicht zuhandeln, wird uns teuer zu stehen kommen - weit teurer, als jetztentschieden und konsequent zu handeln.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein dritter Aspektrückt jetzt in den Mittelpunkt der Debatte, auch durch ein vonehemaligen amerikanischen Generälen und Admirälenvorgelegtes Gutachten. Sie machen deutlich, dass Klimawandel einensicherheitspolitischen Aspekt hat.Sie befürchten weltweite Spannungen, Konflikte undFlüchtlingsströme. Sie sagen: Klimawandel wird zu einerernsten Bedrohung für die Sicherheit der VereinigtenStaaten.

(Lutz Heilmann (DIE LINKE):Das ist doch nicht neu! Das hat die NATO doch schon in den80er-Jahren gesagt!)

Sie behaupten, dies könne Extremismus undTerrorismus fördern.

Das alles in seiner ganzenTragweite sagt uns meines Erachtens, dass Klimawandel die globaleHerausforderung im 21.Jahrhundert ist.

(Beifall bei der CDU/CSU undder SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN))

Ich finde, dass wir diese Erkenntnis alldenjenigen unserer Partner vermitteln müssen, die sich bisherdem Kiotoprozess verschließen und nicht im internationalenKlimaschutz mitarbeiten.

Auch den Amerikanernmüssen wir das immer wieder sagen. Wir müssen ihnensagen: Kein Staat dieser Welt kann heute eine globaleFührungsrolle beanspruchen, der sich beim Klimaschutzverweigert.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Deshalb müssen wir die VereinigtenStaaten in diesen Prozess hineinholen. Ich nenne sie als Erstes,weil sie als weltweit größter Emittent natürlicheine Schlüsselrolle spielen; denn heute lehnen sich vielezurück und sagen: Wenn diejenigen, die am meisten zurVerschmutzung beitragen, nichts machen, müssen wir erst rechtnichts tun.

Natürlich brauchen wiraber auch China und Indien. Wir brauchen die Schwellenländerund die Entwicklungsländer. Es gibt Berechnungen, nach denendie Entwicklungsländer ab dem Jahr 2020 mehr CO2 emittierenwerden als die Industrieländer. Das muss man erkennen unddaraus den Schluss ziehen, dass auf diese globale Fragenatürlich nur eine globaleAntwort gegeben werden kann.

Trotzdem entlastet uns dasnicht von unserer Verantwortung. Wir als Industrieländertragen den Hauptteil der Verantwortung. Deshalb ist es richtig,dass die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und die GroßeKoalition sich zu unserer Vorreiterrolle bekennen, die wir alsEuropäische Union haben und die wir mit dem ganz konkretenZiel verfolgen, dass sich die Industrieländer verpflichtensollen, ihren Treibhausgasausstoß um 30Prozent zureduzieren. Dazu haben wir, die CDU/CSU und die SPD, uns in unseremNairobi-Antrag bekannt. Darin haben wir mit aller Deutlichkeitgesagt: Um das Ziel einer Reduzierung um 30Prozent zuerreichen, sind wir bereit, mehr zu machen. Wir haben uns auf dieEnquete-Kommission des Deutschen Bundestages berufen und uns dazubereit erklärt, unsere CO2-Emissionen bis 2020 um bis zu40Prozent zu reduzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU undder SPD)

Ich finde das Bekenntnis zu dieserVorreiterrolle richtig. Gleichzeitig weiß ich, dass der eineoder andere in der Wirtschaft Bedenken hat und ein 40-Prozent-Ziel als Bedrohung empfindet. Ich binder Überzeugung: Das Gegenteil ist richtig. Ein40-Prozent-Ziel und damit ein engagierter Klimaschutz stellt keineBedrohung dar, sondern bietet eine Chance für effizientesWirtschaften und auch eine Chance für Arbeitsplätze inDeutschland durch neue Technologien.

Ich will das an einemParadebeispiel belegen: an dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm derBundesregierung. Die Bundesregierung hat nach ihrem Amtsantritt dieMittel für dieses Programm von früher300000Euro mehr als vervierfacht und auf1,4Milliarden Euro im Jahr bzw. über 5MilliardenEuro insgesamt in dieser Legislaturperiode aufgestockt. Damit wirdunglaublich viel im Bereich der Reduktion von CO2-Emissionenerreicht. Gleichzeitig profitiert aber auch der kleineHandwerksbetrieb vor Ort. Wir erleben hier regelrecht einenAufschwung. Die Handwerksbetriebe können sich vorAufträgen, die aus diesem Programm resultieren, kaum retten.Schließlich sinken auch die Heizkosten. Davon profitierenalle Bürger, sowohl Mieter als auch Selbstnutzer. Ich finde,das ist ein Paradebeispiel dafür, dass Ökonomie undÖkologie keine Gegensätze sind und Klimaschutz auch alsChance begriffen werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU undder SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN))

Dasselbe gilt für denBereich der regenerativen Energien,in dem wir führend sind in der Welt. Ich erinnere mich an einGespräch mit Achim Steiner in Nairobi. Er kam geradezurück aus China und sagte, dass man dort bei allemWiderwillen, der bezüglich einer Beteiligung aninternationalen Klimaschutzprogrammen herrscht, dieökonomische Seite des Einsatzes dieser Energien erkannt habeund gerade ein milliardenschweres Programm zur Förderungregenerativer Energien auflegen würde. Wir müssen, wieich finde, an uns den Anspruch stellen, auch zukünftig indiesem Bereich an der Spitze zu stehen und Hauptexporteur dieserTechnologien in der Welt zu bleiben. Deshalb werden wir auch inZukunft die Förderung in diesem Bereich fortführen undnoch verbessern. Das gilt für den Bereich der regenerativenEnergien insgesamt, in besonderer Weise - das ist schonangesprochen worden - für den Bereich der regenerativenWärme.

(Beifall bei der CDU/CSU undder SPD)

Jetzt habe ich zwei Bereicheangesprochen, das Gebäudesanierungsprogramm und dieerneuerbaren Energien. Hier machen wir nicht nur genauso viel wieRot-Grün, indem wir alle Programme, die bisher aufgelegtwurden, fortführen, sondern auch noch vieles darüberhinaus. Deshalb finde ich es schon verwunderlich - ich komme jetztzum Thema Emissionshandel -, wennjetzt der Nationale Allokationsplan der Bundesregierung vonseitender Grünen angegriffen wird. Frau Künast hat vorhingesagt, sie wolle sich gerne auf einen Wettbewerb einlassen, nurnicht mit der SPD, weil die in ihrer damaligen Koalition derBremser gewesen wäre. Aber ansonsten würde sie anbieten,in einen solchen Wettbewerb einzutreten. Ich finde, wir als CDU/CSUhaben allen Grund, diesen Wettbewerb anzunehmen. Frau Künastmuss sich dabei aber schon gefallen lassen, nicht an dem gemessenzu werden, was sie jetzt aus der Opposition heraus fordert, sondernan dem, was die rot-grüne Bundesregierung getan hat.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Zu ihren Ausführungen, ArnoldSchwarzenegger würde Leute nach Deutschland schicken, um zuschauen, wie man den Emissionshandel nicht aufziehen sollte, kannich nur sagen: Es gibt bisher nur eine einzige Form desEmissionshandels, einen einzigen Nationalen Allokationsplan, unddiesen hat der Kollege Trittin zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie der Abg. Gabriele Groneberg (SPD))

Abschließend noch eineBemerkung hierzu. Die Wahrheit ist am Ende immer konkret. MinisterGabriel hat die Fakten genannt: Der damalige Minister Trittin hatCO2-Zertifikate im Umfang von 510Millionen Tonnen verteilt,wir aber werden erheblicher weniger ausgeben und damit immerhinbedeutend mehr für Klimaschutz als die rot-grüneBundesregierung machen. Ich finde, auf diesem Weg sollten Sie unszwar kritisch, aber konstruktiv begleiten und unsere Leistung dannauch anerkennen.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Auch ich bin der Meinung,dass noch die eine oder andere Diskussion zu führen ist. Sowird ja darüber diskutiert, ob eine Versteigerung vonEmissionszertifikaten in dem Umfang, wie ihn die EuropäischeUnion vorsieht, richtig ist. Ich persönlich bin dafür. Esgibt viele Befürworter in den Reihen der Koalitionsfraktionenund auch in den Reihen von CDU und CSU. Es gibt aber die eine oderandere offene Frage. Diese Fragen werden wir imGesetzgebungsverfahren diskutieren. Ich glaube, das ist derrichtige Weg, und ich bin sicher, wir werden am Ende gemeinsam zueinem guten Ergebnis kommen.

Ich möchte noch eineletzte Bemerkung zur Verkehrspolitikmachen: Es ist ja unbestritten, dass auch der Verkehrssektor in denKlimaschutzprozess einbezogen werden muss. Genau dies geschiehtauch im Bereich des Pkw-Verkehrs mit der Umstellung derBemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer auf denCO2-Ausstoß und im Bereich des Flugverkehrs, indem er aufeuropäischer Ebene in den Emissionshandel einbezogen werdensoll.

Ich glaube, dass man sagen kann, dass hierunglaublich viel in Bewegung ist. Die Bundesregierung wird ihrerVerantwortung gerecht. Sie wird dabei von derCDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck unterstützt, auchdeshalb, weil ?Klima schützen“ für uns als CDU undCSU immer auch ?Schöpfung bewahren“ heißt. Deshalbstehen wir an der Seite der Bundeskanzlerin, die das ThemaKlimaschutz zum Topthema in Europa und in der ganzen Welt gemachthat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmannvon der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rolf Hempelmann(SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! LiebeKollegen! Klimaschutz steht ganz oben auf der politischen Agenda -das zeigt auch die heutige Regierungserklärung zum Klimaschutz-, und das ist gut so. Das sage ich auch als Wirtschaftspolitiker.Bei der SPD steht das nicht erst seit dem Stern-Review, demIPCC-Report und der jetzt so großen Medienöffentlichkeitweit oben.

Wir sollten uns zwischen Rotund Grün da nicht schlechterreden, als wir waren oder sind.Zugegeben: Der Emissionshandel hat nicht so funktioniert, wie wiruns das vielleicht erhofft haben. Aber wir haben in den Jahren derrot-grünen Koalition auch andere Markenzeichen wieErneuerbare-Energien-Gesetz, Ökosteuer oderKraft-Wärme-Kopplung gesetzt. Wir haben in der GroßenKoalition daran mitgewirkt, dass es einCO2-Gebäudesanierungsprogramm, den Gebäudeenergieausweisoder zum Beispiel auch eine Biokraftstoffstrategie gibt.

(Beifall bei der SPD)

Klar ist heute aber auchgeworden: Das alles reicht noch nicht. Wir brauchen einAktionsprogramm Klimaschutz - das istin den Eckpunkten von Sigmar Gabriel heute vorgestellt worden undvon uns zu unterstützen -, das noch viel ambitionierter undwesentlich konsequenter als alles ist, was wir bisher getan haben.Es ist ebenfalls deutlich geworden: Wir brauchen es vor allem zurSicherung der Bewohnbarkeit unseres Planeten für die kommendenGenerationen.

Diese Aufgabe, Klimaschutz,ist für sich genommen schon schwierig genug. Politik wirdallerdings zur Kunst - man sollte das in solchen Debatten gar nichtverschweigen -, wenn es darum geht, Klimaschutz mitökonomischen und sozialen Zielen zu verbinden. Manchesläuft da ganz automatisch, aber man muss schon sehr auch aufdie Einzelheiten achten. Es geht also um nicht weniger als umSicherung der Bewohnbarkeit des Planeten, aber eben auch umSicherung unseres Wohlstands und um Gewährleistung unsererVersorgung mit sicherer, aber auch bezahlbarer Energie. Es gehtebenfalls um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze im Bereich derZukunftsenergien, im Bereich von Effizienztechnologien, aberdurchaus auch - das ist im Vortrag des Bundesumweltministersebenfalls deutlich geworden - im konventionellenKraftwerkssektor.

Eines werden und dürfenwir nicht zulassen: eine Neueinteilung der Welt in Gut undBöse nach dem Motto: Gut sind die, die sich um dieerneuerbaren Energien kümmern, und böse sind die anderen,die über Modernisierung und Arbeitsplätze etwa inkonventionellen Bereichen sprechen. - Ich glaube, wir haben heutegelernt, dass wir auf Sicht beides benötigen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Deutschland alsIndustrieland und als Land mit einem durch den Einsatz fossilerBrennstoffe geprägten Kraftwerkspark kommt im internationalenKlimaschutz eine etwas andere Aufgabe zu als einem Land wieFrankreich, das im Wesentlichen von Kernenergie lebt und nach wievor stark agrarisch geprägt ist. Wir haben gezeigt, dass wirzu Hause erneuerbare Energienentwickeln und verstromen können und dass wir dieseTechnologien exportieren können. Das ist eine Erfolgsstory,die wir fortsetzen wollen. Wir werden zeigen, dass wir zu Hauseweitere Techniken zur umweltfreundlichen undklimaverträglichen Verstromung fossiler Energien entwickelnkönnen. Wenn uns das gelingt und wenn wir Länder wieChina oder Indien davon überzeugen, nicht nur, wie bisher,Windkraftanlagen von Deutschland zu importieren, sondern zumBeispiel auch umweltfreundliche Autos, stromsparendeElektrogeräte und konventionelle Kraftwerkstechnologien, dannwerden wir ökologischen Fortschritt und wirtschaftlichenErfolg miteinander verbunden haben. Nicht weniger erwarten dieMenschen von uns.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin GabrieleGroneberg von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

GabrieleGroneberg (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin unseremUmweltminister Sigmar Gabriel wirklich dafür dankbar, dass erso deutlich ausgeführt hat, welche Auswirkungen derKlimawandel auf die Entwicklungsländer hat. Insofern freue ichmich doppelt - mir steht wenig Zeit zur Verfügung -, dass ichjetzt auf die konkreten Maßnahmen eingehen kann, die wir hierin Deutschland auf den Weg gebracht haben, um auf den Klimawandelin den Entwicklungsländern zu reagieren und um diesenLändern zu helfen.

Sigmar Gabriel hat neben derpolitischen und der zeitlichen zu Recht die moralische Dimension betont, die wirausfüllen müssen. Daraus resultiert, dass in denIndustrie- und Entwicklungsländern ein zweigleisiger Ansatzverfolgt werden muss: Die Bekämpfung der Ursachen und dieAnpassung an die bereits eingetretenen Folgen müssen einanderergänzen. - Das ist keine neue Erkenntnis. Wir haben dies inden vergangenen Jahren nicht nur in etlichen Anträgen deutlichgemacht; wir sind vielmehr vor allen Dingen im Bereich derwirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung bereits aktivHandelnde.

Die deutscheEntwicklungszusammenarbeit räumt dem Ausbau erneuerbarerEnergien und der Verbesserung der Energieeffizienz einen Vorrangein. Unser vielfältiges Engagement auf diesem Gebiet dientdazu, den Zugang zu sauberer Energie zu verbessern, klima- undumweltschädliche Folgen zu reduzieren und zugleich die Armutzu mindern.

Bereits2004 wurde imZusammenhang mit der Internationalen Konferenz für ErneuerbareEnergien in Bonn durch Bundeskanzler Gerhard Schröder undEntwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul dieSonderfazilität für erneuerbare Energien undEnergieeffizienz - das ist ganz wichtig - auf den Weg gebracht.Wegen der starken Nachfrage dieses erfolgreichen Instruments hatdiese Große Koalition die Zuschussmittel für 2007bereits auf 50Millionen Euro verdoppelt und dasursprünglich auf fünf Jahre angelegte Programm damitdauerhaft eingerichtet. Ich bedauere sehr, dass Frau Künastausgerechnet jetzt nicht da ist; denn das sollte sie sich einmalanhören.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Auch bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt diedeutsche Entwicklungszusammenarbeit die Entwicklungsländer,insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Wasserwirtschaft,Landwirtschaft und Gesundheitswesen. Darüber hinausunterstützten wir den Klimafonds ?Global EnvironmentFacility“ zur Anpassung an den Klimawandel in denärmsten Ländern in diesem Jahr mit einemFinanzierungsbetrag von 25Millionen Euro.

Außerdem ist es unswichtig, den in Nairobi beschlossenen Anpassungsfonds auf den Wegzu bringen, damit er auf der nächsten Weltklimakonferenz inBali verabschiedet werden kann. Dieses innovative internationaleFinanzierungsinstrument ist ein Schritt in die richtige Richtung.Mithilfe der durch den projektbezogenen Emissionshandel erzieltenAbgaben könnten in Zukunft Milliarden von Dollar in denAnpassungsfonds eingespeist werden. Es ist zwingend notwendig, dassdie Entwicklungsländer, insbesondere die in Afrika, an dem imRahmen des Kiotoprotokolls vereinbarten Instrument des Clean-Development-Mechanism - es ist heute schonmehrfach erwähnt worden - stärker partizipieren. Deshalbmüssen wir dafür sorgen, dass wir die Finanzierung dieseremissionsmindernden Maßnahmen in Entwicklungsländernausweiten, indem wir zur Verbesserung der Rahmenbedingungenfür Investitionen beitragen. Darin sind wir uns mit denWirtschaftspolitikern einig.

Ich möchte einfacheinmal eine Zahl nennen. Wir haben zurzeit45Partnerländer, in denen wir im Energiebereich und imKlimabereich tätig sind. Dafür haben wir ein Volumen von1,6Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Allein beifünf Projekten haben wir 3,4Millionen Menschen denAnschluss an zuverlässige und moderne Energieversorgungermöglicht. Es wäre natürlich angebracht,hierfür konkrete Beispiele zu nennen. Dafür fehlt leiderdie Zeit. Wichtig ist, dass sich immer mehr Regierungen in denEntwicklungsländern aufmachen, sich vor allen Dingen imKlimabereich ganz ehrgeizige Ziele zu setzen. Sie tun das ausÜberzeugung; denn sie wissen, dass es für ihre eigenepositive Entwicklung zwingend notwendig ist. Darin wollen wir sieunterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Ich möchte noch etwaszu unserem eigenen Verhalten sagen. Eine Diskussion über das,was, vorsichtig umschrieben, als ?innovativeFinanzierungsinstrumente“ bezeichnet wird, ist bei uns inDeutschland überfällig. Ich erwähne bewusst dieReizwörter ?Ticketabgabe“ und ?Kerosinsteuer“.Herr Kauch, Ihr Antrag leistet leider keinen positiven Beitragdazu; denn seine Ausrichtung geht an vielem vorbei, was wir auf denWeg bringen müssen.

Ich frage mich, warum wirhier in Deutschland eine offene Diskussion scheuen. AndereEU-Länder sind schon längst auf diesem Feld unterwegs.Wir beklagen den massiven CO2-Ausstoß, gleichzeitig behandelnwir Bahn und Flugzeug mit ihrenunterschiedlichen Emissionen sehr ungerecht. Wir müssen daaktiv werden.

Also wende ich mich einfacheinmal an die mutlosen Kollegen hier: Die Behauptung, es seifür unsere Luftverkehrsgesellschaften nicht zu finanzieren,halte ich für eine faule Ausrede; das muss ich jetzt einmalsagen. Wettbewerb kann und muss man international organisieren.Wenn wir da auch mit der FDP auf einen Nenner kommen, dannkönnen wir das zusammen erreichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Als letzte Rednerin zu diesemTagesordnungspunkt erteile ich das Wort der Kollegin RitaSchwarzelühr-Sutter von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

RitaSchwarzelühr-Sutter (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die unbequeme Wahrheit ist bei unsangekommen. Klimapolitik ist mehr als nur ein Lippenbekenntnis.Heute ist der Auftakt, um die Maßnahmen zum Klimaschutz zubeschleunigen.

Wir verfolgen imVerkehrsbereich ein breitgefächertes Maßnahmenpaket, das aus preispolitischen,technischen, ordnungsrechtlichen sowie Aufklärungs- undInformationsmaßnahmen besteht und den Aspekt derWettbewerbsneutralität und der sozialen Verträglichkeitbeachtet. Wir brauchen verbindliche CO2-Obergrenzen in der EU,nachdem die Selbstverpflichtung der Automobilindustrie allerVoraussicht nach nicht erfüllt wird. Das Ziel, denCO2-Ausstoß bis 2012 auf 120Gramm pro Kilometer zusenken, muss durch innovative Antriebstechnik und dieBiokraftstoffstrategie erreicht werden. Deshalb muss auch dieACEA-Zusage der Automobilindustrie zur Reduzierung der spezifischenCO2-Emissionen von Neufahrzeugen weiterentwickelt werden. DiePotenziale und technologischen Innovationen zur Erreichung derMinderungsziele sind vorhanden. Jetzt geht es darum, sie endlich zunutzen.

Die Autoindustrie inDeutschland muss ernsthaft umdenken und dafür sorgen, dasseffizientere Motoren den Markt durchdringen und neueAntriebstechnologien schnellstmöglich auf den Marktkommen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Die Automobilindustrie muss die Chancen derTechnologieführerschaft nutzen, um wettbewerbsfähig zubleiben. Dass der designierte VDA-Präsident auch Mitglied beimBUND ist, wird hoffentlich dazu führen, dass derAutomobilverband mit einer konsequenten Klimastrategie nachhaltigzur CO2-Minderung beitragen wird.

(Beifall bei der SPD - Dr.Uwe Küster (SPD): Sehr gute Idee!)

Nun ist der Mensch,insbesondere der Autofahrer und die Autofahrerin, eine trägeSpezies. Die Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandelsalleine reichen zum Umsteigen nicht aus. Anreize zum Kauf vonklimafreundlichen Autos müssen verstärkt über denGeldbeutel erfolgen. Die Umstellung auf die CO2-basierte Kfz-Steuer ist in derRessortabstimmung und soll zum 1.Januar2008 in Krafttreten. Käufer CO2-armer Neuwagen werden dann mit wenigerKfz-Steuer belastet als diejenigen, die sich fürklimaschädliche Modelle entscheiden. Meiner Meinung nachsollte jedes Gramm CO2 mehr einen deutlichen Unterschiedmachen.

Damit der Autofahrer gleichbeim Kauf eines neuen Autos die CO2-Bilanz erkennen kann, soll ihmder Klimapass helfen. Noch in diesemJahr wird er vom Bundesverkehrsministerium eingeführt.

Ich begrüße auch,dass unser Umweltminister heute angekündigt hat, dass diesteuerlichen Privilegien für spritfressende Dienstfahrzeugeauf den Prüfstand sollen.

Mit der richtigen Fahrweiselassen sich leicht bis zu 25Prozent Kraftstoff sparen, ohneauf Fahrkomfort, Fahrspaß und zügiges Fortkommenverzichten zu müssen. Deshalb investiert dasVerkehrsministerium in die Schulung der Fahrlehrer in spritsparender Fahrweise. Spritsparend Fahrenheißt auch, mit angemessenem Tempo zu fahren. HerrDr.Loske, wir sind offen für ein Tempolimit, aber wirsetzen erst einmal auf die Maßnahmen, mit denen man bei derCO2-Einsparung nicht kleckert, sondern wirklich klotzen kann.

(Undine Kurth (Quedlinburg)(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur nichts tun!)

Um eine Tonne CO2 zuerzeugen, braucht ein Flugzeug nur 3000Kilometer, einPkw 7000Kilometer und ein Zug17000Kilometer pro Person. Fliegen kostet dennoch immerweniger. Die Prognosen gehen von einer Verdoppelung derPassagierzahlen im Luftverkehr in dennächsten 20Jahren aus. Unter den Flugzeugen gibt eserhebliche Unterschiede. Wir haben ein Vorzeigemodell, den A380,das 3-Liter-Fahrzeug unter den Flugzeugen. Deshalb ist dieEinführung emissionsabhängiger Landegebührenwichtig. Ich bin froh, dass München und Frankfurt am Main abdem 1.Januar2008 diesbezüglich einedreijährige Testphase starten. Das wird sich sicherlich aufdie Flotte der Luftverkehrsgesellschaften auswirken.

Ein ganz wichtigesInstrument zur Förderung der Energieeffizienz im Luftverkehrist es, den Luftverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen.Deutschland ist hierbei Motor. Wir müssen darauf achten, dasswir in der EU eine Einigung erzielen, damit auch die ICAO dies imHerbst aufgreift, dies global umgesetzt wird und damit auch derLuftverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zumSchluss.

RitaSchwarzelühr-Sutter (SPD):

Sofort.

Mit der gestern vomBundeskabinett verabschiedeten Regelung zurEnergieeinsparverordnung schaffen wir eine wesentlicheVoraussetzung für mehr Transparenz auf dem Wohnungs- und Immobilienmarkt. Der Energieausweisist wirklich ein Fortschritt. Aber wir dürfen nicht stehenbleiben. Wir brauchen in Zukunft für Neubauten das Passivhausals Standard. Für Altbauten muss dasNiedrigenergiehaus40 zum Standard werden.

Das Gebäudesanierungsprogramm wurde schon oftangesprochen.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, Ihre Zeit ist lange abgelaufen.Ich bitte, zum Schluss zu kommen.

RitaSchwarzelühr-Sutter (SPD):

Wir brauchen eine Verlängerung desGebäudesanierungsprogramms über 2009 hinaus.

Das Klima ist keinträges Faultier, sondern eine wilde Bestie, sagt WallaceBroecker. Deshalb lassen Sie uns auch keine Faultiere sein, sondernden Klimaschutz angehen, und zwar aktiv, nachhaltig und mutig.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowiedes Abg. Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU))

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlagen auf den Drucksachen16/3355,16/4610, 16/4760 und 16/5129 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlagenauf den Drucksachen16/3355 und 16/4760 federführend beimAusschuss für Wirtschaft und Technologie beraten werdensollen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmungüber die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion desBündnisses90/DieGrünen mit dem Titel?Für eine radikale und konsequente Klimapolitik“. DerAusschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache16/4766, den Antrag der Fraktion desBündnisses90/DieGrünen auf Drucksache 16/3283abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktionen DieLinke undBündnis90/DieGrünen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmungüber die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der FraktionDieLinke mit dem Titel ?Klares Signal für dieKyoto-II-Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Nairobisetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache16/4767, den Antrag derFraktionDieLinke auf Drucksache16/3026abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion beiGegenstimmen der Fraktionen DieLinke undBündnis90/DieGrünen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmungüber die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion DieLinkemit dem Titel ?Trendwende beim Klimaschutz im Verkehr - NachhaltigeMobilität für alle ermöglichen“. Der Ausschussempfiehlt unter Nr.1 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache16/5135, den Antrag der Fraktion DieLinke aufDrucksache16/4416 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieseBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen DieLinkeund Bündnis90/DieGrünen angenommen.

Unter Nr.2 seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache16/5135 empfiehlt derAusschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion desBündnisses90/DieGrünen aufDrucksache16/4429 mit dem Titel ?WirksameKlimaschutzmaßnahmen im Straßenverkehrergreifen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion beiGegenstimmen der Fraktionen DieLinke undBündnis90/DieGrünen angenommen.

Ich rufe dieTagesordnungspunkte5a und 5b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb,Dirk Niebel, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Vorschläge desSachverständigenrates aufgreifen - Tarifrecht flexibilisieren,auf Mindestlöhne verzichten, Bürgergeldeinführen

- Drucksache 16/4864 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer,Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Schnell handeln für eine umfassendeMindestlohnregelung

- Drucksache 16/5102 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einerinterfraktionellen Vereinbarung sind für die Ausspracheanderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nichtder Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne dieAussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dirk Niebelvon der FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Dirk Niebel(FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die ?Süddeutsche Zeitung“überschreibt ihren heutigen Kommentar mit ?Koalition derQual“.

(Hubertus Heil (SPD):Für Sie vielleicht!)

Seit fast zwei Jahren vergraben undverschanzen sich die Schwarzen und die Roten in ihren ideologischenSchützengräben.

(Dr. Ralf Brauksiepe(CDU/CSU): Gut, dass ihr so pragmatisch bei diesem Themaseid!)

Den Medien können wir entnehmen, dass esjetzt zum Ausbruch offener Kampfhandlungen gekommen ist.

(Klaus Brandner (SPD): Istdas jetzt Ihr Antrag?)

Die Situation in derBundesregierung ist desolat. Das sieht man nicht nur an denöffentlichen Diskussionen, sondern auch an dem Klima, das inder Koalition herrscht. Die Folge davon ist, dass die Lösungder Probleme der Menschen in den Hintergrund und Symbolpolitik inden Vordergrund tritt.

(Beifall bei der FDP)

Diese Symbolpolitik wird vonden Schwarzen und den Roten immer wieder am Thema Mindestlöhnefestgemacht. Hierüber wird gestritten wie die Kesselflicker,und man versucht, die Menschen glauben zu machen, dass man ihreLebenssituation verbessern könnte. Im Ergebnis wird dieSituation der Menschen aber immer schlechter, weil Sie nichtverstehen, dass es in diesem Land gar nicht um Mindestlöhne,sondern um Mindesteinkünftegeht.

(Beifall bei der FDP)

Die Mindesteinkünfteder Menschen in Deutschland werden immer dann niedriger, wenn siedurch Steuern und Abgaben stärker belastet werden;

(Beifall bei der FDP -Dr.Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es! Mehrwertsteuer!)

denn ein Mindestlohn, der vom Arbeitgebergezahlt werden muss, kommt beim Arbeitnehmer in aller Regel nichtan. Diese Regierung hat, seit sie im Amt ist, dreist in die Taschender Bürgerinnen und Bürger gegriffen und kräftigabkassiert. Sie hat das zur Verfügung stehende Nettoeinkommenimmer weiter geschmälert. Durch ihr Handeln kommt sie immerweiter weg von der notwendigen Erhöhung derMindesteinkünfte der Menschen in diesem Land.

(Beifall bei der FDP)

Mindestlöhne wirkennicht, wenn sie zu niedrig sind, und wenn sie zu hoch sind,führen sie gerade bei Geringqualifizierten zum Verlust vonArbeitsplätzen, und zwar im Inland und in der legalenWirtschaft. Wenn ein Mindestlohn zu hoch ist, wenn also der Preis,den ein Arbeitnehmer für seine Leistung bekommt, nicht mit derLeistung in Einklang steht, dann wird diese Arbeitsleistung in derlegalen Wirtschaft nicht mehr nachgefragt. Das verbessert dieChance nicht, sondern vernichtet Chancen, insbesondere fürGeringqualifizierte.

Es nützt gar nichts,wenn die Union ein wenig zappelt und im Endeffekt vielleicht nurdas Entsendegesetz ausweitet; denn auch das sind Mindestlöhne.Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen die Chanceerhalten, entsprechend ihrer persönlichenLeistungsfähigkeit am Erwerbsprozess teilzunehmen. Wenn dasGeld, das sie damit erwirtschaften können, nicht ausreicht,müssen wir dafür sorgen, dass sie einen Zuschuss auseinem Steuer- und Transfersystem aus einem Guss erhalten:

(Beifall bei der FDP)

ein Bürgergeld, das dafür sorgt, dassErwerbstätigkeit auch für Geringqualifiziertemöglich ist. Wir brauchen in Deutschland einen geordnetenNiedriglohnsektor, der mit dem Steuersystem kombiniert wird. DieseBundesregierung hat auf diesem Gebiet aber nicht einmal den Hauchvon Lösungswillen gezeigt.

Das Konzept, das derthüringische Ministerpräsident vonseiten der Unionvorgelegt hat, ist nicht einmal durch die Parteigremien gegangen.Es würde im Übrigen auch nicht zum Ziel führen; dennwir brauchen ein bedarfsorientiertes Bürgergeld und keinbedingungsloses Bürgergeld. Wir brauchen ein Bürgergeld,das diejenigen unterstützt, die sich nicht allein helfenkönnen, die die Hilfe der Allgemeinheit brauchen. Wir brauchenkein Bürgergeld, das jeder bekommt, auch wenn erMillionär ist oder nicht bereit ist, zu arbeiten.Bedingungslosigkeit ist leistungsfeindlich!

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen ein Steuer- undTransfersystem aus einem Guss, kombiniert mit einer Öffnungder Tarife, damit in Deutschland wieder die Arbeit angeboten werdenkann, die heute nicht mehr angeboten wird, weil sie einfach zuteuer ist. Dann hätten viele Menschen wieder eine Chance zurTeilhabe.

Ich weiß, dass derKollege Generalsekretär der SPD nachher noch reden wird.Deswegen möchte ich etwas anführen, was er kritisierthat: das Faktotum. Das Faktotum istlaut ?wissen.de“ eine ?vielseitige, aufgrundlangjähriger Dienste unentbehrliche Hilfskraft“. Das istalso ein durchaus positiv besetzter Begriff.

(Hubertus Heil (SPD): Ist daseine Berufsbezeichnung für Generalsekretäre?)

Ein Faktotum gab es früher in fast jedemmittleren Betrieb.

(Hubertus Heil (SPD): Sogarbei der FDP!)

Das waren Menschen, die Dienste gemacht haben,die einfache Tätigkeiten ausgeführt haben, die Möbelvon A nach B getragen haben, die den Hof gereinigt haben, dieeinmal etwas repariert haben und die für die innerbetrieblicheKommunikation bestimmt weit wichtiger waren als jedes moderneServersystem. Ein solches Faktotum als Beispiel für jemanden,der einfache Tätigkeiten ausführt, gibt es heute nichtmehr, weil sich ein Betrieb so einen Arbeitnehmer, wenn er ihnentsprechend der unteren Tariflohngruppen der meisten Branchenbezahlen müsste, schlichtweg nicht leisten könnte.

Wären Sie in der Lage,einen solchen Menschen entsprechend seiner Produktivität zubezahlen, hätte er zwar ein geringes eigenes Einkommen, aberSie hätten viele positive Effekte: Dieser Mensch hättemehr Selbstwertgefühl. Denn erwachsene Menschen kümmernsich in aller Regel lieber selbst um ihr Einkommen, als dass sieTaschengeld von der Allgemeinheit empfangen.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Mensch hätte geringereSchwierigkeiten, was die psychosozialen Folgen derLangzeitarbeitslosigkeit anbetrifft. Denn Arbeitslosigkeit machtkrank. Wenn man auch nur für ein bisschen, für eingeringes Entgelt arbeiten kann,

(Hubertus Heil (SPD):Almosen, sonst nichts!)

dann hat man bessere Chancen, gesund zubleiben, und man fühlt sich wohler.

(Beifall bei der FDP)

Außerdem hätte dieser Menschzumindest während der Arbeitszeit nicht mehr dieMöglichkeit, schwarzzuarbeiten. Auch das ist einGesichtspunkt, den man durchaus berücksichtigenmüsste.

Damit aber jemand, derarbeitet, mehr hat als jemand, der nicht arbeitet, brauchen Sieeinen Ausgleichsmechanismus, der möglichst wenige Verwerfungenam Arbeitsmarkt mit sich bringt. Mindestlöhne vernichtensolche Arbeitsplätze. Kombilöhne führen zuLohndumping, weil ein Arbeitgeber oder ein Arbeitsplatzsubventioniert wird. Ein Steuer- und Transfersystem aus einem Guss,in Form eines Steuerzuschusses im Einkommensteuersystem, wie wir esvorschlagen, minimiert diese negativen Effekte und führt dazu,dass Menschen mit geringen Qualifikationen ein existenzsicherndesEinkommen bekommen, führt dazu, dass Arbeitsplätzeentstehen, die es heute in der legalen Wirtschaft nicht mehr gibt.Dadurch steigen auch die Möglichkeiten für Konsum undSteuereinnahmen in diesem Land. Denn jemand, der arbeitet und mehrverdient als jemand, der nicht arbeitet, kann auch mehrkonsumieren, und der Staat hat auch mehr Einnahmen.

Kommen Sie raus aus IhrenSchützengräben, aber nicht um sich gegenseitig im offenenGefecht zu begegnen, sondern um die Probleme der Menschen in diesemLand zu lösen. Das ist Ihre Aufgabe, dafür werden SieGroße Koalition genannt- nicht etwa dafür, dasshier so viele von Ihnen sitzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP -Hubertus Heil (SPD): Das war ja gar nichts! - Dr. Uwe Küster(SPD): Heißluftballon!)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Ronald Pofallavon der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Ronald Pofalla(CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! In fünf Tagen ist der 1.Mai.

(Beifall des Abg. HubertusHeil (SPD))

Wir werden am 1.Mai einenÜberbietungswettbewerb in Sachen Mindestlohn haben.7,50Euro Mindestlohn fordern die Gewerkschaften,8,50Euro fordert die Linkspartei,

(Beifall bei Abgeordneten derLINKEN)

und bei den Grünen weiß man nichtso richtig. Vielleicht kommen die noch auf die Idee, einenMindestlohn von 10Euro zu fordern. Ich kann nur sagen:Willkommen in Phantasia! Alle diese Forderungen gehen an derRealität und der Situation der Bundesrepublik Deutschlandvorbei.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Dann gibt es da einen HerrnBsirske, der am 1. Mai wieder öffentlich einen Mindestlohn von7,50Euro fordern wird.

(Zuruf von der LINKEN:Bravo!)

Er will danach - so habe ich es der Presseentnommen - sogar auf ?Mindestlohntour“ gehen. Derselbe HerrBsirske hat als Vorsitzender von Verdi in Thüringen einenTarifabschluss unterzeichnet, der einen tariflichen, fürallgemeinverbindlich erklärten Höchstlohn - ichwiederhole: Höchstlohn - von 4,45Euro vorsieht. Und soeiner fordert einen Mindestlohn von 7,50Euro. Das passt nichtzusammen, und darauf muss man hinweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU -Dirk Niebel (FDP): Pharisäer!)

Das ist übrigens keinEinzelfall. Verdi hat reihenweise Tarifverträge abgeschlossen,in denen festgelegt ist, dass die unterste Lohngruppe zwischen 4und 5Euro pro Stunde liegt. So viel zur Ehrlichkeit bei derForderung nach einem Mindestlohn für alle.

Um jedesMissverständnis auszuräumen, will ich hier für dieUnion klar und deutlich sagen: Die Union akzeptiert keinLohndumping, das zumenschenunwürdigen Bedingungen in Deutschland führt.

(Beifall bei der CDU/CSU -Widerspruch bei der LINKEN)

CDU und CSU akzeptieren keinen sittenwidrigenLohn.

(Hüseyin-Kenan Aydin(DIE LINKE): Doch, tun Sie!)

Wir sind gegen sittenwidrige Löhne inDeutschland und werden auf so etwas entsprechend reagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU -Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wann denn?)

Die Verletzung vonArbeitnehmerrechten ist für uns in diesem Zusammenhang nichthinnehmbar. Sittenwidrige Löhnesind in Deutschland nach unserer Auffassung gesetzlich zuverbieten. Hier reicht die Anwendung des Richterrechts nicht aus.Wir brauchen, und zwar zum ersten Mal in Deutschland, einunmissverständliches Verbot des Gesetzgebers. Wir sind dazubereit, sittenwidrige Löhne in Deutschland gesetzlich zuverbieten.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wissen Sie eigentlich,worüber Sie reden? Was heißt heute sittenwidrig?)

Die Frage des angemessenenLohns muss geklärt werden. Damit aber überhaupt einangemessener Lohn gezahlt werden kann, müssen zunächstArbeitsplätze entstehen.Über diesen Punkt müssen wir reden. Das Ziel der Unionlautet - das ist glasklar -: Wir wollen Arbeit für alle, undwir wollen die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter substanziellsenken, vor allem in der Gruppe der Geringqualifizierten.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Wer die Bedeutung diesesZiels angesichts von 4Millionen Arbeitslosen nicht erkennt,der lebt an der Wirklichkeit in Deutschland vorbei. Annähernd1,8Millionen der derzeit mehr als 4MillionenArbeitslosen sind gering qualifiziert. Für sie müssen wirauf dem Arbeitsmarkt die Voraussetzungen dafür schaffen, dasssie die Möglichkeit erhalten, eine Arbeit zu finden und ausder Arbeitslosigkeit herauszukommen. Mit uns ist alles machbar, wasin Deutschland Arbeit für alle schafft. Aber der Jobkiller deseinheitlichen gesetzlichen Mindestlohns für ganz Deutschlandist mit uns nicht zu machen, und er wird mit uns nie zu machensein.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Wissen das auch dieSozialausschüsse?)

- Herr Niebel, alle, die dies wollen, werdensich - darauf können Sie sich verlassen - an der ChristlichDemokratischen Union und an der Christlich-Sozialen Union dieZähne ausbeißen. Einen einheitlichen gesetzlichenMindestlohn für ganz Deutschland wird es mit der Union nichtgeben.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Was ist denn mit demEntsendegesetz?)

Unsere Devise lautet:Leistung muss sich lohnen. Wer arbeitet, muss mehr haben als der,der nicht arbeitet. Deshalb sind wir für einen Kombilohn.

(Dirk Niebel (FDP): Daslassen wir Ihnen aber nicht durchgehen!)

An dieser Stelle möchteich auf die Situation der sogenannten Aufstocker hinweisen. Sie werden in vielenFällen keineswegs geknechtet, wie oft behauptet wird. Andieser Stelle lohnt sich ein Blick in die Wirklichkeit; ich rateIhnen allen, sich die Zahlen genau anzusehen. Da arbeitenbeispielsweise Alleinerziehende halbtags und erhaltenzusätzliche staatliche Hilfen, und da arbeiten ältereMenschen in Teilzeit, um nicht tatenlos auf ALGII angewiesenzu sein. Diese Bürger leisten etwas und engagieren sich. DieseMenschen wollen arbeiten, können aber aufgrund ihrerpersönlichen Situation nicht Vollzeit bzw. nur teilweisearbeiten. Aber sie haben ein Anrecht darauf, als Aufstocker einmenschenwürdiges Einkommen in Deutschland zu bekommen, indemauf ihre Arbeitsleistung eine Transferleistung obendrauf gelegtwird. Deshalb ist dieses Instrument richtig

(Frank Spieth (DIE LINKE):Aber das wollen Sie doch kürzen!)

und nicht etwa ein Beweis dafür, dass wirin Deutschland einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnbrauchen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Pofalla, erlauben Sie eineZwischenfrage der Kollegin Pothmer vomBündnis90/DieGrünen?

Ronald Pofalla(CDU/CSU):

Ja, bitte.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Brigitte Pothmer(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Pofalla, ist Ihnen bekannt, dass dieAufstocker nicht nur Teilzeitbeschäftigte sind, sondern dassunter ihnen gut eine halbe Million Menschen sind, die in Vollzeitarbeiten, aber trotzdem ergänzend ALGII erhalten, weilihr Lohn zu gering ist? Ist Ihnen ferner bekannt, dass Sie dieErgebnisse der von Ihnen gerade positiv beschriebenen Situationdurch die Verschlechterung der Zuverdienstmöglichkeiten wiederzunichte machen?

Ronald Pofalla(CDU/CSU):

Mir ist bekannt, dass es auchVollzeitkräfte gibt, die Aufstocker sind und gefördertwerden. Ich will Ihnen antworten, indem ich ein persönlichesBeispiel anführe. Mein Vater, der der Kriegsgenerationangehörte, hat als Facharbeiter 20Jahre lang in derHolzindustrie gearbeitet. Als er aufgrund der damaligenStrukturkrise arbeitslos wurde, hat er sich zu Beginn der70er-Jahre - aus seiner Sicht: leider; er hat es aber getan -dafür entscheiden müssen, die letzten 15Jahreseines Arbeitslebens im Bewachungsgewerbe zu arbeiten. Ich habe mitihm immer wieder darüber gesprochen, welchen Lohn er bekommenhat. Wenn Sie ihn auf heute hochrechnen, dann würde dieserLohn als außerordentlich gering gelten.

Was hat er getan? Er hatteeine fünfköpfige Familie zu ernähren und stand vorder Frage, ob er als Geringqualifizierter für den Rest seinerberuflichen Laufbahn arbeitslos bleibt oder in den Arbeitsmarktzurückkommt. Er hat sich dafür entschieden, in denArbeitsmarkt zurückzugehen. Bei einem geringen Lohn hat erseine fünfköpfige Familie durch eine erhöhteStundenzahl, die er erbracht hat, sowie überWochenendschichten, die er gefahren hat, ernähren können.Ich bin stolz auf ihn.

Ich sage Ihnen: Wenn wireinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschlandeinführen, vernichten wir HunderttausendeArbeitsplätze.

(Widerspruch bei derSPD)

Diese Menschen hätten keine Chance mehr,auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sagenwir: Dieses Aufstockerinstrument ist richtig, es ist aber keinBeweis dafür, dass man in Deutschland einen gesetzlichenMindestlohn fordern muss.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Die Gemeinsamkeit istaufgebraucht!)

Meine sehr verehrten Damenund Herren, der einheitliche gesetzliche Mindestlohn istsüßes Gift. Opfer wären vor allem ostdeutscheBeschäftigte, Berufseinsteiger und Halbtagskräfte.Insgesamt würden Hunderttausende Arbeitsplätze auf demSpiel stehen, wenn aus Berlin per Gesetz ein Stundenlohn von7,50Euro verordnet würde. Ein gesetzlicher Mindestlohnin dieser Höhe wäre eindeutig zutiefst unsozial; denndavon würden nicht alle gleich betroffen. Vor allem einfacheJobs für Langzeitarbeitslose und Geringqualifiziertewürden dadurch vernichtet.

Wir müssen die Sorgenhinsichtlich Jobverlagerungen ins Ausland und Schwarzarbeit ernstnehmen. Experten haben errechnet, dass wir bei einem einheitlichengesetzlichen Mindestlohn von 7,50Euro einen enormen Zuwachsder Schwarzarbeit um 7Prozent - das sind 25MilliardenEuro - zu erwarten hätten.

Durch einen solchengesetzlichen Mindestlohn, wie ihn auch der Gewerkschaftsrat der SPDbeschlossen hat, würde die Tarifautonomie eingeschränkt werden, und dieGewerkschaften würden sich selbst infrage stellen.

(Andrea Nahles (SPD): Dakommen mir die Tränen!)

Ich will hier einen von mirsehr anerkannten Gewerkschaftsvorsitzenden aus der heutigen Pressezitieren. Hubertus Schmoldt sagte in der Oldenburger?Nordwest-Zeitung“, es gebe in keinem der vielen anderenBeispielländer ein Tarifsystem wie in Deutschland.Wörtlich sagt er:

Ich befürchte, wenn wir diesesSystem der Politik überlassen, dann werden sich die Politikerder Frage spätestens in Wahlkämpfen bemächtigen. DieTarifautonomie würde so nach und nachausgehöhlt.

Wo er recht hat, hat errecht.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Deshalb ist der gesetzlicheMindestlohn ein Anschlag auf die Tarifautonomie in Deutschland.Angefangen bei Landtagswahlkämpfen bis hin zuBundestagswahlkämpfen würde es in Deutschland permanenteinen Überbietungswettbewerb hinsichtlich der Frage geben, wernun den gerechten Mindestlohn in welcher Höhe fordert.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Das ist die Gefahr!)

In unserer Wirtschaftsordnung ist dieTarifautonomie der Tarifparteien vorgesehen, und die Tarifparteienhaben die Chance, diese Regelungen zu treffen. Sie müssendiese Aufgabe stärker als bisher wahrnehmen.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Pofalla, erlauben Sie eineweitere Zwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb von derFDP-Fraktion?

Ronald Pofalla(CDU/CSU):

Bitte.

Dr. Heinrich L.Kolb (FDP):

Herr Kollege Pofalla, einenÜberbietungswettbewerb gibt es ja auch bei den Unterschriftenaktionen. Ich habe mir einmal dieMühe gemacht, die Unterschriftaktionen der SPD und auch derCDA zu studieren.

(Andrea Nahles (SPD):Bravo!)

Ich stelle jetzt fest, dassSie gegen gesetzliche Mindestlöhne und erst recht gegen solchein Höhe von 7,50Euro sind. Können Sie mir denn eineInterpretationshilfe leisten, wenn die CDA - das ist dieChristlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands -Folgendes schreibt:

Eine Erleichterung derAVE

- also derAllgemeinverbindlichkeitserklärung -

und eine Ausweitung desEntsendegesetzes sind dringend notwendig, reichen aber füreine umfassende Bekämpfung von Armutslöhnen nicht aus.Deshalb muss der Gesetzgeber

- also wohl durch ein Gesetz -

zusätzlich eine absoluteLohnuntergrenze oberhalb der Armutsgrenze festlegen;...

(Beifall bei derLINKEN)

Können Sie mir kurzerläutern, wie das dann konkret geschehen soll und wie mansich das vorstellen muss?

Ronald Pofalla(CDU/CSU):

Ich finde, es gibt zwei entscheidendeUnterschiede zwischen den Unterschriftenaktionen. Zum erstenUnterschied: Die SPD hat ihre Unterschriftenaktion - dafür istsie selber verantwortlich - im Parteivorstand beschlossen.Unterschriftenaktionen - so verstehe ich solche Aktionen - sindnormalerweise Instrumente der Opposition. Das zeigt, dass sich dieSPD wenigstens in dieser Frage nach wie vor nicht entschieden hat,ob sie konstruktiv regieren oder opponieren will.

(Lachen bei der SPD)

Der zweite Unterschied istder: In der CDA-Unterschriftenaktion werden Sie die Forderung nacheinem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn nicht finden. Die CDAfordert in ihrer Unterschriftenaktion, das Instrument derAllgemeinverbindlichkeit stärker zu nutzen, um in diesemBereich Untergrenzen einzuziehen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Ich möchte noch etwaszum Ausland sagen, das häufigzitiert wird, um in Deutschland Forderungen aufzustellen. Es wirdGroßbritannien genannt. Zum einen ist die Arbeitslosigkeit inGroßbritannien ungleich geringer als bei uns. Zum anderensind in Großbritannien schon 400000Vollzeitbeschäftigte aus Osteuropa in den Arbeitsmarktintegriert. In Großbritannien gibt es nicht wie bei uns4Millionen Arbeitslose, davon 1,8Millionen geringqualifizierte Arbeitslose. Deshalb gibt es hier Unterschiede.

Auch die USA werdenangeführt. Diejenigen, die auf die USA verweisen, müssensich entscheiden. Auf der einen Seite werden die USA für einenaußerordentlich flexiblen Arbeitsmarkt kritisiert, auf deranderen Seite werden sie für den gesetzlichen Mindestlohngerühmt, den sie haben. Diejenigen, die einen solchenMindestlohn fordern, müssen sich nun entscheiden.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Sehr richtig! Das ist genau der Punkt!)

Wollen wir dieArbeitsmarktbedingungen der USA und damit den Mindestlohn, oderwollen wir auf unseren zubetonierten Arbeitsmarkt mit derexistierenden Überregulierung noch einen gesetzlichenMindestlohn setzen? Letzteres wird von uns eindeutig abgelehnt.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Inwelcher Rolle sprechen Sie?)

Ich nenne Frankreich als einletztes Beispiel. In Frankreich erleben Sie gerade eine Debatteüber die Senkung des gesetzlichen Mindestlohns im Bereich derJugendlichen. In Frankreich ist Folgendes passiert: Der zu hochangesetzte Mindestlohn für Jugendliche hat dort zu einemexorbitanten Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit beigetragen. Dieshatte zum Ergebnis, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreichdoppelt so hoch ist wie bei uns. Ich finde, das ist ein gutesBeispiel dafür, wie zu hoch angesetzte Mindestlöhneverheerend auf dem Arbeitsmarkt wirken.

Wir sind dafür,Sittenwidrigkeit von Löhnen in Deutschland zu definieren.

(Zuruf von der LINKEN: Washeißt das?)

Wir sind dafür,Kombilöhne anzubieten. Wir sind dafür, über dasInstrument der Allgemeinverbindlichkeit und überbranchenübliche Mindestlöhne zu reden. Hier befinden wiruns bereits in Gesprächen. Mehr wird es von der Union nichtgeben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU -Dirk Niebel (FDP): Schade, ich hätte eine Zwischenfragegehabt!)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Ernst vonder Fraktion Die Linke.

(Beifall bei derLINKEN)

Klaus Ernst (DIELINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Fangen wir doch gleich mit der Sittenwidrigkeit an. Sittenwidrig sind momentanLöhne, die 30Prozent unter den ortsüblichenLöhnen liegen.

(Dirk Niebel (FDP): Oder dentariflichen!)

- Oder den tariflichen. - Wenn die CDU/CSU nunsagt, sie möchte sittenwidrige Löhne verhindern, obwohlsie weiß, dass wir inzwischen in der Fläche inbestimmten Regionen Löhne von 3Euro haben, akzeptiertsie diese und plädiert für Löhne von 2,10Euro.Das ist nicht mehr zumutbar, was Sie hier treiben.

(Beifall bei der LINKEN -Dirk Niebel (FDP): Die sind aber tariflich!)

- Ja, Herr Niebel, zu Ihnen komme ich auchnoch. Sie können sich gleich weiter aufregen. Zu Ihnenmöchte ich sagen, dass der von Ihnen gestellte Antrag eineinziges Ziel verfolgt. Er verfolgt das Ziel, dass die Löhnein diesem Land schlichtweg weiter sinken sollen.

(Abg. Dirk Niebel (FDP)meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Wollen Sie jetzt schon dazwischenreden? Ichhabe doch noch gar nichts gesagt. Bitte, ich freue mich immer, wennSie etwas sagen.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Ernst, das Wort erteilt immernoch der amtierende Präsident. Ich sehe aber, dass Sie eineZwischenfrage zulassen wollen.

Bitte, Herr Niebel.

Dirk Niebel(FDP):

Herr Kollege Ernst, Sie haben schonangesprochen, dass es Löhne zwischen 3Euro und3,80Euro gibt. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass dastarifvertraglich vereinbarte Löhne sind, die unter anderem vonIhren Gewerkschaftskollegen und von den Arbeitgebervertreternausgehandelt worden sind? Sind Sie weiterhin bereit, zuzugestehen,dass die entscheidende Frage ist, wie viel Geld die Menschenhinterher in der Tasche haben? Sind Sie bereit, zuzugestehen, dassunser Ansatz, nicht über Mindestlöhne, sondern überMindesteinkünfte zu sprechen, insgesamt dazu führt, dassdie Leute mehr ausgeben können?

Klaus Ernst (DIELINKE):

Zur Frage der von den Gewerkschaftenvereinbarten Löhne: Es stimmt, die Löhne, die von Verdivereinbart wurden, sind äußerst niedrig. Sie solltensich einmal Gedanken darüber machen, ob Sie nicht mit IhremAntrag dazu beitragen, die Gewerkschaften weiter zuschwächen.

(Beifall bei der LINKEN sowiedes Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Lachen bei derFDP)

Meinen Sie etwa, es hat Verdi bzw. HerrnBsirske Spaß gemacht, solche Tarifverträge zuunterschreiben?

Inzwischen haben wir indiesem Lande die Situation, dass die Gewerkschaften auch durch dieHartz-Gesetze, die die Sozialdemokraten mit zu verantworten haben,so geschwächt sind, dass sie Löhnen von 2 oder3Euro pro Stunde zustimmen, um noch niedrigere Löhne zuverhindern. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Mit dem Antrag, denSie, Herr Niebel, stellen, wollen Sie die Auflockerung desTarifrechts vorantreiben, um letztendlich noch niedrigereLöhne zu erreichen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN -Abg. Dirk Niebel (FDP) nimmt wieder Platz)

- Herr Niebel, ich bin noch nicht ganz fertigmit der Beantwortung Ihrer Frage.

Zu Ihrer zweiten Frage, obes nicht wichtiger ist, das zu betrachten, was die Menscheninsgesamt bekommen, als das, was sie verdienen. Das ist keinesfallsso. Lohn hat etwas mit Leistung zu tun.

(Dirk Niebel (FDP): Das habeich vorhin gesagt!)

Wenn man für seine Arbeit nicht mehr soentlohnt wird, dass die Leistung, die man in seine Arbeiteinbringt, in irgendeiner Form im Lohn deutlich wird, dann machenSie die Arbeit letztendlich so billig wie Dreck. Ich sage Ihnen:Das Ergebnis wird sein, dass das Wertesystem dieser Republikauseinanderfällt. Das Wertesystem dieser Republik basiertnämlich darauf, dass derjenige, der arbeitet, von demArbeitslohn, den er erhält, leben und existieren kann. Werarbeitet, bringt es zu etwas. Sie betreiben die Politik: Werarbeitet, bleibt arm. Um das ganz deutlich zu sagen: Das ist eineKatastrophe, Herr Niebel.

(Beifall bei der LINKEN sowiedes Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Jetzt zu Ihrem Antrag. Siewollen - dieses Ziel ist eindeutig erkennbar -, dass dieLöhne weiter sinken. Die ersteFrage ist: Macht das denn Sinn? Wir hatten in der Bundesrepublikvon 1995 bis 2004 bei der Lohnentwicklung ein Minus von0,9Prozent. In Großbritannien war ein Plus von25Prozent, in den USA von 19Prozent und in Frankreichvon 8Prozent zu verzeichnen. Wir haben es also gar nichtnötig, darüber nachzudenken, ob die Löhne zu hochsind.

(Dirk Niebel (FDP): Das habeich auch gar nicht behauptet!)

LautJahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sind dieArbeitnehmerentgelte im Jahre 2006 um 1,3Prozent gestiegen.Der Zuwachs ist damit niedriger als die Inflationsrate. Bei denUnternehmereinkommen und den Vermögenseinkommen gab es einPlus von 6,9Prozent. Es ist also nicht notwendig,darüber zu streiten, ob die Löhne sinken sollen. Es istnotwendig, über steigende Löhne zu reden.

(Beifall bei derLINKEN)

Deshalb unterstützen wir die Forderungder IG Metall nach einer vernünftigen Teilhabe an dem, was dieArbeitnehmer erwirtschaften.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Die brauchen gerade Ihre Unterstützung!)

Ich sage Ihnen, was der SinnIhres Antrags ist, Herr Niebel: Ihre Klientel bekommt den Halsnicht mehr voll. Das ist das Problem in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten derLINKEN - Dirk Niebel (FDP): Wissen Sie eigentlich, wie vieleArbeitslose es mittlerweile gibt?)

Ihre Klientel sind nicht die Arbeitslosen.Ihre Klientel sind auch nicht die Arbeitenden. Ihre Klientel sinddiejenigen, die ihr Geld aus Unternehmertätigkeit undVermögen beziehen. All das, was in Ihrem Antrag steht - bisauf das Bürgergeld -, ist von der Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände bereits vorgeschrieben. So istdie Realität.

(Beifall bei der LINKEN sowiedes Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Eine weitere Frage lautet:Brauchen wir eine größere Lohnspreizung? Auch dies steht in Ihrem Antrag.Die Lohnspreizung erstreckt sich von 3Euro in der Stundefür den Friseur - noch ist dies so; denn wir haben densittenwidrigen Lohn in der Form, wie Sie ihn gerne hätten,noch nicht vereinbart, obwohl er eigentlich schon gilt - bis zu8,4Millionen Euro im Jahr für Herrn Ackermann. Das istdie Spreizung des Lohns.

Wissen Sie, über waswir in diesem Lande nachdenken müssen? Darüber, ob dieEinkommen der Unternehmer noch im Hinblick auf das, was sieleisten, gerecht sind, ob die Einkommen der Vorstandsmitglieder -das ist Ihre Klientel - noch stimmen. Stellen Sie doch einenAntrag, diese Einkommen zu begrenzen. Das macht Sinn. Man solltenicht immer an die Kleinen, sondern auch einmal an die Großenherangehen. Das wäre wirklich mutig, Herr Niebel.

(Beifall bei der LINKEN sowiedes Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dirk Niebel (FDP): SeienSie doch einmal so, wie Sie heißen! Seien Sie doch einmalernst!)

Wie weit wollen Sie denneigentlich beim Lohn nach unten gehen? Ich habe Ihnen diese Frageschon öfter gestellt. Wollen Sie, wenn Sie keinen Mindestlohnvorsehen, tatsächlich bei einem Lohn von 3Euro dieStunde bleiben? Wollen Sie wie zum Beispiel die CDU/CSU bei einemsittenwidrigen Lohn von 2,50 bzw. 2Euro pro Stunde landen? Woist Ihre Grenze nach unten? Sie haben keine. Sie muten den Menschenletztendlich zu, zu arbeiten, ohne entlohnt zu werden. Das ist dasErgebnis Ihrer Politik. Ein Niedriglohn nützt uns nichts.

(Beifall bei der LINKEN sowiedes Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ihr Argument, einMindestlohn führe zum Abbau vonArbeitsplätzen, ist wirklich sehr abwegig. Herr Niebel,glauben Sie denn wirklich, dass die Friseure abwandern, wenn es beiuns einen Mindestlohn gibt?

(Dirk Niebel (FDP): Nein! Diewerden schwarz schneiden!)

Oder glauben Sie, dass die Fassaden nicht mehrgereinigt werden, weil es einen Mindestlohn gibt? Glauben Sietatsächlich, dass die Postboten, die mehr und mehr in privatenUnternehmen arbeiten und unter ein bestimmtes Lohnniveaugedrückt werden, die Post nicht mehr austragen, sondern nachChina gehen? Ihr Argument ist Unfug.

(Beifall bei derLINKEN)

Wissen Sie, was die anderen vergleichbarenLänder Europas machen? Die diskutieren nicht über dieFrage, ob es einen Mindestlohn geben soll oder nicht. Siediskutieren darüber, um wie viel der Mindestlohn erhöhtwird. Sie wissen, wie es in Europa ausschaut. In Luxemburgbeträgt der Mindestlohn inzwischen 9Euro, in Irland8,30Euro und in Frankreich 8,27Euro. Das ist dieRealität. Wir sind das einzige Industrieland in Europa, das essich erlaubt, Löhne, die letztendlich in die Armutführen, durchgehen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht einepure Katastrophe.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Sie vergleichen Äpfel mit Birnen!)

Sie wollen auch noch dasTarifrecht zerschlagen und das Streikrecht verschärfen. Ist das wirklichsinnvoll? Es würde Sinn machen, wenn es in der Bundesrepublikstreikwütige Gewerkschaften gäbe. Es gibt aber nur zweiandere Länder, die eine geringere Zahl von Streiktagen habenals die Bundesrepublik, nämlich die Schweiz und denVatikanstaat. Wollen Sie uns noch unter dieses Niveaudrücken?

Hinter diesem Vorschlagsteckt etwas anderes: Sie wollen den Arbeitnehmern unzumutbareLöhne zumuten und dazu beitragen, dass sie sich nicht wehrendürfen und das akzeptieren. Wenn das liberale Politik ist,dann würden sich frühere Liberale im Grab umdrehen, HerrNiebel.

(Beifall bei derLINKEN)

Was Sie erreichen wollen - die Lockerung desStreikrechts und die Beeinflussung oder gar Zerschlagung vonGewerkschaften -, macht Siemens auf andere Art und Weise. Siemensmacht es illegal. Man hat inzwischen den Eindruck, dass es sichbeim Siemens-Vorstand um eine kriminelle Vereinigung handelt.

(Beifall bei Abgeordneten derLINKEN)

Sie machen dasselbe legal mit anderen Mitteln.Aber es ist genauso verwerflich. Deshalb werden wir IhreVorschläge ablehnen.

(Beifall bei derLINKEN)

Weil ich zum Schluss kommenmuss, will ich nur noch anmerken, was Herr Blüm dazu gesagthat.

(Lachen bei der FDP)

- Ihr könnt ruhig lachen. Er warschließlich in eurer Regierungskoalition Minister. Er hatgesagt, wer den Mindestlohn ablehnt, der fordert letztendlich mehrStaat.

(Dirk Niebel (FDP): Das istdie Rache von Karl Marx am Bürgertum! Ich habe esgelesen!)

Zitat: ?Die Privatisierer derTarifverträge, die Verächter der Allgemeinverbindlichkeithaben nichts Besseres verdient als den Mindestlohn. KlugeArbeitgeberrepräsentanten wissen das, dumme lernen esnie.“ Ich glaube, mit Letzteren hat er Sie gemeint.

Vielen Dank für dieAufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN -Dirk Niebel (FDP): Er hat auch gesagt, die Neoliberalen seien dieRache von Karl Marx am Bürgertum! Und ?Die Rente istsicher“ hat er auch gesagt!)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heilvon der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Hubertus Heil(SPD):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnenund Kollegen! Ich will daran erinnern - weil es auch Gegenstandunserer heutigen Diskussion ist -, dass meine Partei, die SPD,bereits vor Eintritt in die Verhandlungen zur GroßenKoalition auf drei zentralen Punkten beharrt hat, die wir dann auchim Koalitionsvertrag durchgesetzt haben und die für unsBedingungen für unsere Beteiligung an der GroßenKoalition waren. Das waren erstens der Erhalt und die Sicherung derTarifautonomie in Deutschland. Wirwissen - das unterscheidet uns offenbar von den Kolleginnen undKollegen, die der wirtschaftsradikalen Fraktion angehören -,dass die meisten Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernnicht im Gesetzbuch verankert sind, sondern inTarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaftenerstritten werden müssen.

Herr Kollege Niebel, Siereden immer viel über Flexibilität. Die gibt es unter demDach des Flächentarifvertrags bereits. Sie wollen etwas ganzanderes. Sie wollen den Gewerkschaften in Deutschland das Kreuzbrechen. Aber das wird mit uns nicht zu machen sein.

(Beifall bei der SPD - DirkNiebel (FDP): Das haben wir so nicht beantragt! - Gegenruf von derSPD: Sie geben das nicht offen zu!)

Zweitens. Wenn Sie von denMenschen in Deutschland reden, die für sich und ihre Familienhart arbeiten, Sozialversicherungsabgaben und Steuern zahlen,Kinder erziehen und sich an die Regeln halten - das ist die Mitteder Gesellschaft, von der Sie offensichtlich keine Ahnung haben -,und sich auch immer wieder verächtlich über Mitbestimmung äußern, dann will ichIhnen Folgendes entgegenhalten: In meinem Wahlkreis - das wird inIhrem nicht anders sein - kommen manchmal Unternehmen in schwierigeSituationen. In diesem Fall sind es oft die Betriebsräte, die Verantwortungübernehmen und in Verhandlungen mit der Geschäftsleitungversuchen, möglichst viel für ihre Kolleginnen undKollegen herauszuholen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):Es war eine sozialliberale Koalition, die dieses Gesetz gemachthat!)

Meistens geht es um die Sicherung vonArbeitnehmerrechten und Arbeitsplätzen. Manchmal müssensie schwierige Kompromisse eingehen. Der Kollege Ernst weißdas. Sie verantworten übrigens anschließend dieKompromisse gegenüber der Belegschaft.

(Dirk Niebel (FDP): Wie beiVW!)

Ich möchte es anderssagen: Ich kenne kein Unternehmen in Deutschland, das an einemsturen Betriebsrat gescheitert ist. Ich kenne aber leider Gotteseinige Unternehmen in Deutschland, die an einem unfähigenManagement gescheitert sind.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der LINKEN)

Drittens. Wir haben in dieser Koalition auchbeim Kündigungsschutz Liniegehalten. Wir wissen, dass Kündigungsschutz die Menschen nichtwirklich vor betriebsbedingten Kündigungen schützen kann.Es ist nicht wie beim Rostschutz, der vor Rost schützt, oderbeim Frostschutz, der vor Frost schützen soll. AberKündigungsschutz schützt Menschen vor willkürlicherKündigung. Das ist mindestens so wichtig. Wir wollen keineGesellschaft, in der Menschen um ihren Job fürchtenmüssen, nur weil sie einmal nicht über den schlechtenWitz ihres Chefs gelacht haben. Deshalb bleibt es beimKündigungsschutz.

(Beifall bei der SPD - DirkNiebel (FDP): Wie wäre es mit einem Witzeverbot? - Zurufe vonder CDU/CSU und der FDP: Oh!)

Es bleibt auch dabei, dassdie Feiertags- undNachtzuschläge nicht stärker besteuert werden. Ichkann mich an die Diskussion im Bundestagswahlkampf erinnern. Wirhaben da Linie gehalten.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Wir befinden uns jetzt inDeutschland in der Situation, dass der Aufschwung da ist. Die Wirtschaft wächst -im letzten Jahr waren es 2,7Prozent -, und zwar mit Effekten,die sich Gott sei Dank auch auf dem Arbeitsmarkt zeigen. Ich willdeutlich sagen, dass dieser Aufschwung drei Ursachen hat. Eine derUrsachen ist, dass die Tarifparteien - oftmals unter schwierigenBedingungen - ihren Beitrag geleistet haben. Die zweite Ursacheist, dass die Weltwirtschaft und die Konjunktur helfen; wer willdas bestreiten. Aber vor allen Dingen - das ist die dritte Ursache- hat es damit zu tun, dass wir jetzt einen nachhaltigen Aufschwunghaben und kein konjunkturelles Strohfeuer, weil wir den Mut zuVeränderungen, zu nachhaltigenReformen in diesem Land hatten, den andere früher nichthatten.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Deshalb sage ich: Es istrichtig, dass diese Große Koalition den Kurs der sozialen Erneuerung fortsetzt, um dafür zusorgen, dass wir in den sozialen Sicherungssystemen - auchhinsichtlich der Strukturen - eine Situation herbeiführen, inder dieser Aufschwung nicht ein Aufschwung für wenige wird,sondern ein Aufschwung für alle Menschen in Deutschland werdenkann. Das, liebe Genossinnen und Genossen aus der eigenen Fraktion,müssen wir uns sagen. Aber das müssen wir auch anderensagen. Wir können stolz auf die Erneuerungen undVeränderungen sein, die wir begonnen haben.

(Dirk Niebel (FDP): Eine sehrlinkszentrierte Rede! Müssen die Reihen geschlossenwerden?)

Wir müssen das fortsetzen.

Ich sage Ihnen, Herr Niebel:Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass Sie Aufschwungfür wenige wollen. Wir wollen Aufschwung für alleMenschen in Deutschland.

(Beifall bei der SPD - DirkNiebel (FDP): So ein Unsinn!)

Es darf deshalb nicht sein, dass das, wasjetzt an Produktivitätsfortschritten und an Gewinnen vorhandenist, in den Taschen von nur wenigen landet. Es ist richtig, dassbei den anstehenden Tarifverhandlungen anständige Löhneherauskommen.

(Beifall des Abg. Dr.Carl-Christian Dressel (SPD))

Das heißt, dass es eine Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmeram Haben und am Sagen, am gemeinsam Erarbeiteten in den Unternehmengeben kann. Das ist übrigens auch volkswirtschaftlichsinnvoll.

Wir müssen feststellen,dass in diesem Zusammenhang die Tarifautonomie, die wir verteidigenund zu der wir - im Gegensatz zu anderen - stehen, in vielenBereichen nicht mehr kraftvoll genug ist,

(Dirk Niebel (FDP): Aha!Deswegen wird sie mit Mindestlöhnen eingeschränkt!)

um dafür zu sorgen, dass Menschen, diehart und in Vollzeit für sich und ihre Familien arbeiten,davon leben können. Zu diesem Punkt ist vorhin viel gesagtworden.

Kollege Pofalla, ich habeeine Frage, über die wir einmal sprechen müssen: Warumhat eigentlich bis dato die CDU/CSU mit uns zusammen füreinzelne Branchen, beispielsweise für Gebäudereiniger,insgesamt für 800000 Menschen Mindestlöhneverankert und will Menschen in anderen Branchen Mindestlöhnevorenthalten? Das ist, wenn ich das einmal offen sagen darf, nichtganz logisch.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf vonder CDU/CSU: Das steht bei uns im Koalitionsvertrag!Entsendegesetz!)

Ich glaube, dass wir alsKoalition eine Chance haben, in diesem Bereich voranzukommen. Wirwerden darüber reden. Es gibt Meinungsunterschiede. Aber ichglaube, dass die Koalition in diesem Bereich etwas für dieMenschen in diesem Land leisten wird. Ich sage ganz offen: Ich habeVertrauen dazu, dass die anderen großen Volksparteien, CDUund CSU, mit denen wir koalieren, sowohl die Augen langfristignicht verschließen können

(Dr. Thea Dückert(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für wen reden Sie jetzt,für die Koalition?)

vor einer Entwicklung, die eingesellschaftlicher Skandal ist - Menschen können von ihrerArbeit nicht mehr leben, obwohl sie von morgens bis abends schuften-, als auch zur Kenntnis nehmen, dass es mittlerweile vieleArbeitgeber gibt, die zu uns kommen und sagen: Wir wollen diesesDumping, diesen Schmutzwettbewerb nicht. Wir als Unternehmerinnenund Unternehmer sind für Wettbewerb, aber wir wollen fairenWettbewerb und wollen unsere Leute auch anständig bezahlen.Deshalb brauchen wir Mindestlöhne. Das sagen uns Unternehmer,beispielsweise in der Zeitarbeitsbranche.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb kämpfen wirfür Mindestlöhne. Wir haben es mit dem Entsendegesetz und der Allgemeinverbindlichkeit im Bauhandwerkgeschafft, diese durchzusetzen. Wir haben es jetzt für dieGebäudereiniger geschafft.

(Dirk Niebel (FDP): Mit denmit christlichen Gewerkschaften abgeschlossenenTarifverträgen!)

Wir wollen in diesem Bereich nach vorne gehen,weil es nach wie vor so ist, dass es in vielen Branchentatsächlich solche Entwicklungen gibt, wie sie zitiertwurden.

Zum Vorwurf an dieGewerkschaften, dass sie nicht mehr stark genug sind: Es mag Siehämisch erfreuen, dass sie sich in einigen Bereichen nichtmehr durchsetzen können. Aber es nutzt den Leuten nicht, sichhämisch über Gewerkschaften lustig zu machen. Das mussman ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD sowiedes Abg. Klaus Ernst (DIE LINKE))

Ich gebe zu, dass dieGewerkschaften lange gebraucht haben- alle Gewerkschaften, auch meine IG Metall -, sich dazu zubekennen, dass wir Mindestlöhne brauchen. Denn frühersind wir immer davon ausgegangen, dass die Tarifautonomieausreicht. Ich sage Ihnen, wer die Diskussion nach Deutschlandgeholt hat - ich bin stolz darauf -: Das waren nicht in ersterLinie die Gewerkschaften, sondern es war Franz Münteferingdamals als SPD-Vorsitzender.

(Beifall bei der SPD)

Gott sei Dank war es so, dass wir es danngeschafft haben, mit dem Gewerkschaftsrat der SPD und mit allenEinzelgewerkschaften ein Konzept zu erarbeiten, das wir umsetzenwollen, weil wir davon überzeugt sind, mit diesen Schrittenvoranzukommen: Vorrang für tarifvertragliche Lösungen,Nutzung der Möglichkeiten des Entsendegesetzes und derAllgemeinverbindlichkeit. Dabei wollen wir aber auch deutlichmachen: Wenn das nicht ausreicht - und es gibt Hinweise, dass esnicht ausreicht -, müssen wir zu gesetzlichen Regelungen fürMindestlöhne in Deutschland kommen.

Wir wollen das und werden daweiter Druck machen, weil wir wissen, dass die Menschen Regelungenbrauchen. Ich glaube, dass man in diesem Zusammenhang die CDA nichtals Opposition schmähen darf. Ich finde es gut - das sage ichganz offen -, dass es auch in der Union Leute gibt, unter anderemden saarländischen Ministerpräsidenten Müller, dieda nicht einfach die Augen verschließen. Ich glaube, dass wirauf diese Weise zu guten Lösungen kommen können.

(Beifall bei der SPD sowiedes Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU))

Es ist nicht möglich,in der kurzen Zeit auf all das einzugehen, was in den Anträgensteht. Aber eins fällt mir in diesem Haus immer wieder auf,zuletzt bei der Auseinandersetzung zwischen meinen Vorrednern HerrnNiebel und Herrn Ernst: Es gibt in diesem Haus zwei exaltiertePositionen, die geografisch gesehen auf der einen und auf deranderen Seite des Hauses sitzen. Das Kredo der FDP gestaltet sich,egal wie sie es variiert, immer nach dem Motto: Der Markt kannalles viel besser; der Staat soll sich zurückziehen.

(Dirk Niebel (FDP): So einUnsinn! Dann würden wir kein Bürgergeld fordern!)

Es läuft nach demGuido-Westerwelle-Motto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist analle gedacht.

(Dirk Niebel (FDP): Die alteLeier!)

Die Position der anderen Seite ist: Der Staatkann alles hinbekommen; der Markt ist das Problem. - BeideParteien, wie immer sie sich nennen mögen, machen denselbenFehler, obwohl sie - das gebe ich zu - sehr unterschiedlich sind:Sie spielen soziale Gerechtigkeitgegen wirtschaftliche Dynamik aus.Wir Sozialdemokraten sagen: Das bedingt sich wechselseitig. Es gibtLänder in Europa, die wirtschaftlich noch ein bisschenerfolgreicher als wir sind, und zwar nicht obwohl sie guteSozialstaaten sind, sondern weil sie gute Sozialstaaten sind, weilsie den Menschen eine stärkere Teilhabe ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Aber das sind Länder, deren Sozialstaatsverständnis das eines modernenSozialstaates ist, der die Qualität von Sozialstaatlichkeitnicht in erster Linie an der Höhe der sozialen Transfersbemisst, sondern daran, ob er Menschen wirklichTeilhabemöglichkeiten und Lebenschancen eröffnet. Diegroßen Lebensrisiken müssen in unserer Gesellschaftfür alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer solidarischabgesichert bleiben. Aber der Sozialstaat muss mehr tun: Er mussetwas für die Lebenschancen derMenschen tun, für gerechte Teilhabe. Das betrifft Arbeit,Bildungschancen und die Chance auf ein gesundes Leben.

Wenn wir die sozialen Fragendieser Zeit erkennen wollen, dann werden wir keinen verhungertenStaat à la FDP brauchen können,

(Dirk Niebel (FDP):Oh!)

aber auch keine strukturkonservativeSozialstaatlichkeit à la PDS. Wir brauchen einenSozialstaat, der Teilhabe ermöglicht, einen stärkervorsorgenden Sozialstaat. Das betrifft nicht zuletzt dieLöhne.

Ich sage noch einmal: DerWeg der sozialen Erneuerung, mit allen Schwierigkeiten undAuseinandersetzungen, die meine Partei dabei erlebt hat, den wir indieser Großen Koalition fortgesetzt haben, lohnt sich. Wirhaben gesät; jetzt wird geerntet, und wir dürfen nichtvergessen, wieder neu zu säen. In einer Großen Koalitiondauert es manchmal etwas länger, weil wir intensiv miteinanderreden müssen. Aber ich bin der festen Überzeugung: DieseGroße Koalition wird die Kraft haben, die soziale Erneuerungdes Landes voranzubringen. Ich füge hinzu: Sie muss esauch.

Herzlichen Dank für dieAufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowiedes Abg. Max Straubinger (CDU/CSU))

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin BrigittePothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Herr Heil, die FDP ist für Sie doch ein Geschenk des Himmels.Für Sie ist es doch weitaus angenehmer, immer mit dem Fingerauf Herrn Niebel zeigen und wie ein Rohrspatz schimpfen zukönnen,

(Dirk Niebel (FDP): Daswäre aber gar nicht nötig!)

als wenn Sie mit dem Finger auf Herrn Pofallazeigen müssten, der die identischen Positionen vertritt.

(Dirk Niebel (FDP): DiesenVorwurf weise ich mit Abscheu zurück!)

Das wäre für das Klima in derKoalition nicht so angenehm. Insofern sollten Sie Herrn Niebeleinmal einen ausgeben.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Herr Pofalla, es ist leiderso, dass man in diesem Parlament kein Recht darauf hat, auf eineFrage auch eine entsprechende Antwort zu bekommen. Ihre Antwort aufmeine Frage jedenfalls war - ich will es einmal so zusammenfassen -ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, dass Menschen vielund hart arbeiten müssen, aber trotzdem kein Anrecht daraufhaben, dafür ein anständiges Gehalt zu bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Ronald Pofalla (CDU/CSU): Das zeigt, dass Siedas nicht verstanden haben!)

Ich sage Ihnen, Herr Pofalla, dass wir dasnicht wollen.

Es ist schon einiges zumAntrag der FDP gesagt worden; ich will es deswegen kurz machen. Mirist aber wichtig, auf einen Punkt hinzuweisen. In Wirklichkeitwollen Sie, Herr Niebel, mit Ihrem Antrag Tempo machen in einebestimmte Richtung. Sie wollen nämlich, dass sehr vieleMenschen sehr wenig verdienen, und Sie wollen, dass wenige Menschennoch mehr verdienen.

(Dirk Niebel (FDP): So einQuatsch!)

Sie wollen die Lohnspreizung in diesem Land noch weiterverstärken.

(Dirk Niebel (FDP): So einvölliger Unsinn ist hier schon lange nicht mehr gesagtworden!)

Ich frage mich: Wissen Sie eigentlich nicht,dass wir in Sachen Lohnspreizung inzwischen auf dem Niveau vonGroßbritannien sind? Großbritannien ist in WesteuropaSpitzenreiter, was die Lohnspreizung angeht. Mit Ihrem Ehrgeizsetzen Sie an der völlig falschen Stelle an.

Lassen Sie mich noch einWort zu dem von Ihnen vorgeschlagenen Bürgergeld sagen. Herr Kolb kritisiert hierPlenarsitzung für Plenarsitzung wortreich die Kosten fürdas SGBII.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):Richtig!)

Mit Ihrem Bürgergeld schaffen Sie einenKombilohn XXL.

(Dirk Niebel (FDP):Überhaupt nicht! Sie haben es nicht verstanden!)

Die Kosten für die Aufstockungen imSGBII sind Peanuts im Vergleich zu den Kosten, die sichergeben, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen. Ich versprecheIhnen aber, dass wir das nicht tun werden.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dirk Niebel(FDP): Sie sind der Beweis für PISA! Sie haben es nichtgelesen!)

Was Sie wollen, ist keinWettbewerb der Unternehmer, sondern eine Schmutzkonkurrenz aufKosten der Steuerzahler. Diese Vorschläge kommen ausgerechnetvon einer Partei, die immer sagt, die Steuern müsstenherunter. Aber gleichzeitig tritt sie dafür ein, dass dieLöhne aus Steuern finanziert werden. Das mag verstehen, werwill.

(Dirk Niebel (FDP): Icherkläre es Ihnen!)

Auch wenn man in Finnland zur Schule gegangenist: Das kann man wirklich nicht verstehen.

(Dr. Ralf Brauksiepe(CDU/CSU): Diesen Witz hat auch keiner verstanden!)

Herr Pofalla, Sie habengefragt, was eigentlich die Grünen wollen. Wir wollen eineverbindliche Mindestlohnregelung, die die Marktmechanismen nachunten begrenzt.

Liebe Kolleginnen undKollegen, die Losung des Deutschen Gewerkschaftsbundes für dendiesjährigen Maifeiertag lautet: ?Du hast mehrverdient!“ Stimmt genau, kann ich da nur sagen.

(Dirk Niebel (FDP): Das giltfür uns bei Ihrer Rede auch!)

Erst recht gilt dies, wenn mit dieser Aussagedie Niedriglohnempfänger gemeintsind, die übrigens zu 60Prozent eine gute Qualifikationaufweisen. Das wollte ich noch zum Thema Leistungsfähigkeitder Menschen in diesem Bereich sagen.

Ich finde aber auch, dassdiese Menschen mehr verdient haben als das, was die GroßeKoalition ihnen zu bieten hat.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Einige Fakten, die ich jetzt vortragen werde,werden Ihnen, Herr Müntefering, und den Kollegen aus derSPD-Fraktion vielleicht bekannt vorkommen.

Das sind die Fakten: DieEinkommensschere geht weiter auseinander. WährendSpitzengehälter zunehmen, stagnieren die Löhne fürviele Beschäftigte. Mehr als 2,5MillionenVollzeitbeschäftigte arbeiten in Deutschland fürArmutslöhne, die weniger als50Prozent des Durchschnittlohns betragen. Die Tarifbindungnimmt ab. Nur noch 68Prozent der Beschäftigten inWestdeutschland und 53Prozent in Ostdeutschland erhaltentariflich vereinbarte Löhne. Armutslöhne gibt es nichtnur bei tarifungebundenen Arbeitgebern. Auch viele Tariflöhneliegen inzwischen bei 3Euro und weniger. Das sind dieFakten.

Diese Fakten haben Sie, HerrMüntefering, in einem Flugblatt aufgeschrieben, mit dem Siesich als Erstunterzeichner selbst auffordern, zu handeln unddafür zu sorgen, dass es in Deutschland gerechte Löhnegibt. Diese Fakten stimmen leider.

Was aber nicht stimmt, istdie Art und Weise, wie die Regierung mit diesen Fakten umgeht. Siehaben uns im März 2006 - das ist nun bald 15Monate her -versprochen, dass Sie gesetzgeberisch gegen diese Form desLohndumpings vorgehen und dass Sie existenzsichernde Löhne gewährleistenwollen. Aber nichts ist passiert. Ich habe den Eindruck, dass nachder gestrigen Nacht die Aussichten eher düsterer gewordensind.

(Dr. Ralf Brauksiepe(CDU/CSU): Zum Glück waren Sie nicht dabei! - Gegenruf desAbg. Dirk Niebel (FDP): Das ist aber uncharmant!)

- Herr Brauksiepe, ich kann schon verstehen,dass man nach solch langen und unergiebigen Diskussionen in derNacht am nächsten Morgen unausgeschlafen ist.

(Dirk Niebel (FDP): Er hatsich an die schönste Nacht zwischen Ulla Schmidt und HorstSeehofer erinnert!)

Ruhen Sie sich ein bisschen aus, und haltenSie sich mit Zwischenrufen zurück!

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Herr Müntefering, aufdas von Ihnen Versprochene warten die Betroffenen leider immernoch. Statt hier Ihre Ziele zu verfolgen, spielen Sie aberFeierabend-APO und starten eine Unterschriftenkampagne, die Sieselbst zum Handeln auffordern soll. Das empfinde ich als eine Formvon Volksverdummung. Nach meinem Eindruck brauchen wir inzwischennicht nur Regelungen gegen Lohndumping, sondern auch Regelungengegen Politikdumping.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Diese Koalition hält keineMindeststandards für Regierungshandeln ein. Diese Standardssollten wir einklagen, finde ich. Bei 50Prozent Union und50Prozent SPD kommen für die Arbeitslosen unddiejenigen, die zu geringen Löhnen arbeiten, 0Prozentheraus.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Das ist aber eineRechnung!)

Sie feilschen hier nur noch umGeländegewinne für die jeweils eigene Partei. Das isteinfach zu wenig. Ich finde das schäbig.

Herr Pofalla, kommen Sie mirjetzt bitte nicht mit Ihrem Gesetz gegensittenwidrige Löhne. Sie selbst haben Ihren FreundHubertus Schmoldt als Kronzeugen angeführt. Sie hättendas entsprechende Interview einmal zu Ende lesen sollen. HerrSchmoldt spricht sich darin dezidiert gegen ein Gesetz gegensittenwidrige Löhne aus.

Herr Pofalla, er rechnetIhnen auch noch einmal vor, welche Auswirkungen ein solches Gesetzhaben würde. Damit könnten nämlich Löhne wiezum Beispiel der Lohn der Friseurin in Sachsen von 3,82Eurolegal noch einmal um 30Prozent - in diesem Fall um1,14Euro - unterschritten werden. Das wollen Sie jetzt auchnoch gesetzlich legitimieren! Verabschieden Sie sich von dieserIdee. Sie bringt wirklich niemanden voran.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf vonder CDU/CSU: Keine Ahnung!)

Herr Pofalla, mit unseremEntschließungsantrag haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht,dem auch Sie zustimmen können müssten.

Erstens. In unsererMindestlohn-Kommission nachbritischem Vorbild wollen wir Vorschläge erarbeiten lassen,die regional- und branchenspezifisch differenziert werden. DieseEmpfehlungen sollen dann durch den Bundesarbeitsminister fürverbindlich erklärt werden.

Zweitens. Wir wollen, dassdas Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufalle Branchen ausgeweitet wird. Für die Branchen, die dasGanze nicht selbst in Tarifverträgen regeln können,wollen wir bis Ende 2008 die von der eben genannten Kommissionerarbeiteten Mindestlöhne für verbindlicherklären.

Drittens wollen wir dasTarifvertragsgesetz so reformieren,dass die Vetomöglichkeiten der Spitzenverbändeeingegrenzt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wasist für Sie die Koalitionsfreiheit?)

Mit diesem Konzeptverhindern wir die negativen Beschäftigungseffekte, die Siehier an die Wand gemalt haben, Herr Pofalla.

(Dr. Reinhard Göhner(CDU/CSU): Dann sind die 3,82Euro aber immer nochgültig!)

Deswegen machen wir Ihnen einen Vorschlag, denSie eigentlich gar nicht ablehnen können.

Herr Müntefering, ichwende mich jetzt noch einmal direkt an Sie. Eigentlich wissen Siedoch ganz genau, dass es in diesem Hause eine parlamentarische Mehrheit für einenMindestlohn gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Weil es in diesem Hause eine solcheparlamentarische Mehrheit für einen Mindestlohn gibt,versuchen Sie sich nicht als Feierabend-Straßenkämpfer,sondern.

(Zuruf von der SPD: Da kennenSie sich besser aus! - Zuruf von der FDP: Dafür ist docheigentlich Joseph Fischer zuständig!)

werben Sie hier in diesem Bundestag fürIhr Projekt. Hier gibt es für den Vorschlag, den wir Ihnenvorgelegt haben, eine Mehrheit bis tief in die CDU hinein.

Herr Pofalla hat heuteausgeführt, dass er keinen einheitlichen gesetzlichenMindestlohn will. Er hat gesagt, er wolle Lohndumping verhindern.Wir haben Ihnen dazu einen Vorschlag gemacht, den Sie gar nichtablehnen können.

Herr Müntefering, ichwürde mir wünschen, dass Sie in diesem Hause dann auchfür die entsprechenden Mehrheiten kämpften.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir fordern Sie auf: SetzenSie im Vorfeld des 1.Mai nicht Ihre schwarz-rotenPassionsspiele in der Arbeitsmarktpolitik fort. Am Tag der Arbeitgeht es um die Interessen der Beschäftigten und nicht um dieProbleme der Großen Koalition. - Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Die Realität hat euchmittlerweile doch verlassen!)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. RalfBrauksiepe von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Dr. RalfBrauksiepe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Anlass dieser Debatte sind zwei Anträge derOpposition, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

(Dirk Niebel (FDP): Ganzklar: Einer ist gut, und einer ist schlecht!)

Sie malen die Situation in diesem Land inschwarz bzw. in weiß.

(Dirk Niebel (FDP): Wir malensie in blau-gelb!)

Beide werden der Situation in diesem Landnicht gerecht. Mir ist, als ich diese Anträge gelesen habe,der Tag nach der letzten Bundestagswahl in Erinnerung gekommen.Erinnern wir uns: Rot-Grün war abgewählt und hat amnächsten Tag der FDP angeboten, doch in die rot-grüneKoalition einzutreten.

(Dirk Niebel (FDP): Und wirhaben Nein gesagt!)

- Sie haben Nein gesagt. - Frau Pothmer,vergleichen Sie einmal Ihren Antrag mit dem von der FDP. Angesichtsder Unterschiede habe ich ein gutes Gewissen, wenn wir in derGroßen Koalition manchmal ein bisschen brauchen, bis wir zuErgebnissen kommen. Sie haben sieben Jahre lang dieses Landheruntergewirtschaftet,

(Widerspruch bei derSPDund dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Sie haben jahrelang keine Initiativeergriffen, um das umzusetzen, was Sie hier fordern, und wolltennoch mit denen, die das genaue Gegenteil wollen, eine Koalitionbilden. Das zeigt, wie ernst Sie Ihre eigenen Programmpunktenehmen, nämlich überhaupt nicht ernst.

(Beifall bei derCDU/CSU- Dirk Niebel (FDP): Wir haben Nein gesagt! Ich bittedas zu bedenken!)

- Sie haben Nein gesagt. Das ist wahr.

Ich möchte aber auchnoch an etwas anderes erinnern, lieber Kollege Niebel. Das, was inIhrem Antrag steht, läuft auf einen lohnpolitischenHäuserkampf hinaus und bedeutet das Ende für kollektiveVereinbarungen. Die von Ihnen geforderte Abschaffung derAllgemeinverbindlichkeit im Tarifvertragsgesetz war nie Politik derRegierung Kohl und wird auch niemals eine Politik sein, die wirgemeinsam mit Ihnen machen. Um es ganz deutlich zu sagen: Sie sindweit von dem entfernt, was wir früher einmal gemeinsam gemachthaben.

(Dirk Niebel (FDP): Ersteinmal ganz locker bleiben und abwarten!)

Liebe Kolleginnen undKollegen, inhaltlich stehen beide Anträge krassgegeneinander.

(Dirk Niebel (FDP): Das sageich dem Althaus!)

Sie haben aber ein gemeinsames Ziel: Beideunternehmen den völlig untauglichen Versuch, etwas zubeweisen, was von den Betroffenen überhaupt niemandbestreitet, nämlich dass es in der Großen Koalitionunterschiedliche Auffassungen zu diesem Thema gibt. Wir brauchenkeine Anträge von Ihnen, um das festzustellen. Deswegenmöchte ich noch einmal in Erinnerung rufen: Diese Koalitionist nicht deswegen gebildet worden, weil zwischen den Parteien, diesie bilden, ein Maximum an inhaltlicher Übereinstimmungherrscht, sondern diese Große Koalition ist gebildet worden,um dieses Land wieder voranzubringen, nachdem die alte Koalitionkeine Mehrheit mehr hatte.

(Hubertus Heil (SPD):Schwarz-Gelb auch nicht!)

Die jetzige Konstellation hat sich also aufder Basis einer Übereinkunft gebildet, um dieses Landwirtschaftlich, sozial und arbeitsmarktpolitisch wiedervoranzubringen. Diese Verantwortung haben wir wahrgenommen. Ichfinde, man darf auch heute noch einmal sagen: Fast 1MillionArbeitslose weniger als vor einem Jahr und weit über0,5Millionen sozialversicherungspflichtigeBeschäftigungsverhältnisse mehr als vor einem Jahr zeigenbei allen Unterschieden, dass wir in dieser Großen Koalitiongemeinsam etwas erreicht haben, worauf wir auch gemeinsam stolzsein können.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich im Rahmendieser schwierigen Mindestlohndebatte auf ein paar Dinge hinweisen,die unterschiedlichen Teilen dieses Hauses nicht gefallen, die aberalle miteinander wahr sind. Bevor man sich in einemvolkswirtschaftlichen Studium im Detail mit Wirtschaftstheoriebeschäftigt, braucht man ein paar Kenntnisse, die mitGrundrechenarten zu tun haben und selbstverständlich sind.Dazu gehört, dass nur das Einkommen verteilt werden kann, das vorher aucherwirtschaftet worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Das heißt, dass es beispielsweise nichtgut gehen kann, wenn ein Arbeitnehmer, der eine Wertschöpfung von 5Euroerwirtschaftet, auf Dauer von seinem Arbeitgeber 6Eurobekommen soll. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das hat nichtsmit Wirtschaftstheorie zu tun, sondern das hat etwas mit simpelstenZusammenhängen zu tun, nämlich wie Einkommen in einerVolkswirtschaft entsteht und verwendet wird. Ein Verstoßdagegen kann auf Dauer nicht gut gehen.

Es ist auch wahr, nichtjedem steht seine Produktivitätauf die Stirn geschrieben.

(Hubertus Heil (SPD): Vorallem nicht Abgeordneten!)

Natürlich gibt es Menschen, die mehr bzw.weniger bekommen, als es ihrer Produktivität entsprechenwürde. Es gibt aber niemanden, der die Wertschöpfung unddamit die Produktivität eines Menschen besser beurteilen kannals die Tarifvertragsparteien. DiePolitik sollte sich nicht anmaßen, an deren Stelle treten zuwollen.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eineZwischenfrage des Kollegen Heinrich Kolb?

Dr. RalfBrauksiepe (CDU/CSU):

Er ist zwar noch dran, aber wenn er mit seinerRedezeit nicht auskommt, gerne.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kolb, bitte schön.

Dr. Heinrich L.Kolb (FDP):

Ich bedanke mich, Herr Kollege Brauksiepe. -Ich habe ja mit Interesse festgestellt, dass Sie nicht zu denUnterzeichnern der CDA-Unterschriftenaktion gehören. Nach dem,was Sie jetzt gesagt haben, ist mir das ein Stück klarergeworden. Die Grundzusammenhänge der Lohnfindung undLohnsetzung haben Sie immerhin verstanden.

Können Sie mir denn,nachdem es der Kollege Pofalla nicht geschafft hat, folgenden Satzin der CDA-Unterschriftenaktion, der ja wohl der Beweggrundfür Sie gewesen sein muss, nicht zu unterschreiben, nocheinmal erläutern? Ich zitiere:

Deshalb muss der Gesetzgeberzusätzlich eine absolute Lohnuntergrenze oberhalb derArmutsgrenze festlegen;…

Ist das ein gesetzlicher Mindestlohn, ja odernein? Ist das der Grund dafür, dass Sie nicht unterschriebenhaben?

(Hubertus Heil (SPD): Esheißt nur anders! Es ist schon Mindestlohn!)

Dr. RalfBrauksiepe (CDU/CSU):

Herr Kollege Kolb, Ihre Pöbeleien habeich zur Kenntnis genommen.

(Widerspruch bei derFDP)

Das muss jeder für sich entscheiden.

Ich muss keine Appelle anmich selber richten. Ich bin an den Gesprächen beteiligt, diedie Große Koalition zu diesem Thema führt. Es istvöllig in Ordnung, wenn in einer Volkspartei, die breitaufgestellt ist, die Meinungen zu diesem Thema zum Ausdruckgebracht werden. Ich werde Ihnen zu der Frage, auf die Sie gekommensind, inhaltlich gleich noch etwas sagen. - Erst einmal könnenSie wieder Platz nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Ich war an dem Punkt stehengeblieben, dass ein Arbeitgeber auf Dauer nicht mehr bezahlen kann,als der Wertschöpfung desArbeitnehmers entspricht. Genauso gehört zur Wahrheit aberauch, dass wir auf dem Arbeitsmarkt, auch im zusammenwachsendenEuropa, mittlerweile eine Situation haben, der viele alte Theoriennicht gerecht werden. Wenn jemand aus einem Land, wo dieMindestlöhne im Eurocentbereich liegen - es gibt mehrereLänder in der Europäischen Union mit gesetzlichenMindestlöhnen im Centbereich -, in ein Land wie Deutschlandkommt, eine Wertschöpfung von 5Euro erbringt, dafüraber nur 2 oder 3Euro, das heißt nur einen Bruchteilseiner Wertschöpfung, erhält und der Arbeitgeber den Resteinbehält, weil er sich sagt, der Arbeitnehmer habe ja immernoch mehr, als er in seinem Heimatland hätte, dann ist daseine Situation, die wir nicht hinnehmen können. Das ist eineSituation, die für deutsche Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die hier leben und hier ihre Familie mit ihrerHände Arbeit ernähren wollen, nicht hinnehmbar ist. Diesind dann nicht konkurrenzfähig. Politik kann nicht so tun,als hätte das etwas mit Marktgesetzen zu tun und ginge unsnichts an. Da müssen wir handeln, und da müssen wir dieMenschen vor solcher Konkurrenz schützen.

Deswegen geben wirAntworten. Auch als CDU/CSU haben wir klare Vorstellungen zu diesemThema entwickelt. Wir meinen: Eine Ausweitung des Entsendegesetzes ist nicht der Königsweg.Auch Herr Bofinger, Lieblingsökonom der Sozialdemokraten, sagtausdrücklich: Vorsicht bei einer weiteren Ausweitung desEntsendegesetzes; protektionistisches Instrument usw. - Es gehtalso nicht darum, die Nutzung irgendeines Instruments zumKönigsweg zu erklären, sondern es geht darum, zuprüfen, was denn die Alternativen sind.

Eine Alternative zurAusweitung des Entsendegesetzes wäre Nichtstun. Angesichts derProbleme, die wir in manchen Bereichen haben, halte ich Nichtstunfür unverantwortlich.

Eine weitere Alternativewäre, dass sich der Staat an die Stelle der Tarifvertragsparteien setzt. Dazu sage ich nocheinmal: Ich glaube nicht, dass der Staat bessere Antworten als dieTarifvertragsparteien hat. Uns geht es nicht darum, als Politikvorzugeben, wer ins Entsendegesetz kommt, sondern wir sagen: Wo dieArbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter selbst die sozialenVerwerfungen sehen und erklären: ?Wir wollen deswegen insEntsendegesetz aufgenommen werden“, sind wir bereit, diesenWeg mitzugehen. Wir sagen also nicht: Wir wissen es als Politikbesser.

Ich will zu demProtektionismusargument deutlich erklären: Es gibt aus gutenGründen Minderheitenschutz. Aberdie Aufnahme ins Entsendegesetz bedeutet nicht, dass jemandem, derkeiner Tarifvertragspartei angehört, alles diktiert werdenmuss. Tarifverträge regeln, wie man wissen sollte oder auchweiß, Herr Kollege Niebel, sehr viel mehr als nur einenMindestlohn. Es geht aber nur darum, diesen fürallgemeinverbindlich zu erklären. Es kann nicht sein, dass nurMinderheiten, die keiner Tarifvertragspartei angehören, ihreRechte haben; auch die Mehrheiten müssen Rechte haben.

Wenn Arbeitgeber undArbeitnehmer, die in einer Branche die Mehrheitrepräsentieren, einen Tarifvertrag abschließen und sichdarauf verständigen, dass für anständige Arbeit einanständiger Lohn gezahlt werden soll, dann müssen sieauch die Möglichkeit haben, das durchzusetzen, und dürfennicht durch Konkurrenz, durch Lohndrückerei daran gehindertwerden. Auch das gehört zur Ordnungspolitik und zurTarifautonomie dazu.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eineweitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Pothmer vomBündnis 90/Die Grünen?

Dr. RalfBrauksiepe (CDU/CSU):

Aber gern.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Frau Pothmer.

Brigitte Pothmer(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Brauksiepe, Sie haben geradeerklärt, dass Sie da, wo sich Arbeitgeber und Arbeitnehmergemeinsam auf bestimmte Löhne verständigt haben und denAnspruch erheben, ins Entsendegesetz aufgenommen zu werden, demauch Folge leisten werden. Ist das eine definitive Aussage dahingehend, dass die Zeitarbeitsbranche,die die Kriterien, die Sie gerade genannt haben, erfüllt,

(Dirk Niebel (FDP): Dieerfüllt das überhaupt nicht, nur die Großen,Randstad, Adecco und so, die Kleinen nicht!)

unmittelbar ins Entsendegesetz aufgenommenwird?

Dr. RalfBrauksiepe (CDU/CSU):

Frau Pothmer, Sie müssten eigentlichwissen, dass die Voraussetzungen, die Sie in Ihrer Frage genannthaben, in der Realität nicht gegeben sind. In derZeitarbeitsbranche haben wir es mit konkurrierendenTarifverträgen zu tun. Es ist eine besondere Situation, mitder wir uns auch zu beschäftigen haben werden. Wenn esentsprechende Anträge gibt, wird man sich diese Verträgeanschauen und überlegen müssen, wie man damit umgeht. Siewissen, dass das eine Sondersituation ist und dass die Bedingungen,die ich genannt habe, und auch die, die Sie genannt haben, alssolche nicht erfüllt sind.

Ich will auf denAusgangspunkt zurückkommen. Wir haben eindeutig erklärt,dass wir bereit sind, da eine Aufnahme in das Entsendegesetzvorzunehmen, wo solche sozialen Verwerfungen von den Arbeitgeber-und Arbeitnehmervertretern selbst gesehen werden. Jeder weiß:Eine solche Aufnahme ist kein Allheilmittel und wird nicht dazuführen, dass die gesamte deutsche Volkswirtschaft unter dasEntsendegesetz fällt.

Wir sagen klipp und klar:Wir wollen und müssen verhindern, dass dort, wo es aufgrundtariflicher Vereinbarungen nicht zu einer Aufnahme insEntsendegesetz kommt, sittenwidrigeLöhne gezahlt werden. Das ist eine klare Aussage. Wirlehnen sittenwidrige Löhne ab und sind bereit, dasentsprechend zu kodifizieren.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Das Richterrecht ist andieser Stelle uneinheitlich. Daher gilt: Wenn man gesetzlichfestlegt, dass Löhne ein Drittel unter Tarif sittenwidrigsind, dann ist das mehr als die pure Wiedergabe des Richterrechts.Das ist etwas anderes. Das ist gewissermaßen das Kondensatder Urteile, die es dazu bisher gab. Es ist schon ein Fortschritt,der auch mehr Rechtssicherheit schafft.

Wir sagen ganz deutlich -Kollege Kolb, damit sind wir bei dem Punkt, den auch die CDA inihrem Flugblatt völlig zu Recht angesprochen hat - : Wenn manfordert, dass Löhne ein Drittel unter Tarif möglich sind,dann muss man in der Tat unterscheiden, ob im TarifvertragLöhne von 12 Euro oder von 3,50Euro oder3,18Euro festgelegt sind. Wir wollen nicht, dass Menschenfür 3Euro oder weniger - ich verweise auf denErwerbsgartenbau - beschäftigt werden. Ich wiederhole: Daswollen wir nicht. Genau das wird mit unserer Position zum Ausdruckgebracht.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Ein Drittel weniger als 12Euro oder einDrittel weniger als 3,80Euro, das ist ein Unterschied.

Ich sage genauso klar: DerStaat verhebt sich, wenn er versucht, beispielsweise übereinen Mindestlohn - man kann es auch anders nennen - gesetzlichfestzulegen, dass Löhne doppelt so hoch wie tarifvertraglichvereinbarte Löhne sein sollen, etwa nach dem Motto: Wenn inden Tarifverträgen etwa ein Lohn von 3Euro vereinbartwurde, dann legen wir fest, dass das Doppelte zu zahlen ist. Auchich bin fassungslos, wenn ich sehe, was in manchenTarifverträgen steht. Aber wir sollten zur Kenntnis nehmen:Der Staat verhebt sich, wenn er meint, er könne festlegen,dass das Doppelte gezahlt wird. Genauso klar ist: Tarifvertraglichfestgelegte Niedrigstlöhne von etwas mehr als 3Eurodürfen nicht noch um ein Drittel unterschritten werden.Deswegen ist diese Position der CDA völlig sachgerecht.

(Dr. Thea Dückert(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das istwidersprüchlich!)

Nach meiner Überzeugungschreit dieses Thema geradezu nach ideologischerAbrüstung.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU) -Andrea Nahles (SPD): Na, dann fangen Sie dochan!)

Ich finde, wir müssen deutlich machen,was die Ziele und was die Mittel sind. Deswegen sage ich nocheinmal: Unser Ziel ist und bleibt, dass Menschen in diesem Landnicht ausgebeutet werden, dass Menschen für eineanständige Arbeit auch einen anständigen Lohn bekommen.Um dieses Ziel geht es.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU und der SPD)

Ziel kann nicht sein, alleBranchen oder keine Branchen ins Entsendegesetz aufzunehmen.

(Andrea Nahles (SPD): Doch,das kann sehr wohl das Ziel sein! Alle Branchen ins Entsendegesetzaufzunehmen, ist nämlich unser Ziel!)

Ziel muss vielmehr sein, dass in diesem Landfür anständige Arbeit ein anständiger Lohn gezahltwird. Es geht darum, dass es keine Lohndrückerei gibt. Dergerechte Lohn und die Frage, wie man dazu kommt, sind einurchristliches Thema. Das ist ein Thema der Christlichen Demokratenund der Christlich-Sozialen. Dafür stehen wir, und darumringen wir. Wir wollen in dieser Großen Koalition gemeinsamLösungen für diese Probleme finden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. HeinrichKolb von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Heinrich L.Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Debatten wie die heutige sind auch dazu da, diePositionen der Fraktionen in diesem Hause deutlich zu machen. Wasdie FDP will, ist deutlich geworden: Wir wollen die Voraussetzungendafür schaffen, dass mehr Arbeitsplätze in diesem Lande entstehen. EinArbeitsplatz ist nämlich das höchste soziale Gut, das wireinem Menschen in diesem Lande zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der FDP - AndreaNahles (SPD): Man muss aber davon leben können!)

Herr Kollege Pofalla undHerr Kollege Brauksiepe, was die Union will, ist mir nach IhrenBeiträgen allerdings nicht ganz klar. Herr Brauksiepe, es gabZeiten, da hatte die Union eine klare marktwirtschaftlichePosition, da hatte die Union ein klares ordnungspolitisches Profil.Aber was wir heute von Ihnen gehört haben, war ein bisschenSymbolpolitik nach dem Motto: So ganz können wir uns diesemThema nicht verweigern; sprechen wir also zur Sittenwidrigkeit.Ansonsten war von Ihnen ein klares ?Nein, aber ...“ zuhören. Dazu muss ich sagen: Ich freue mich, heute Morgen inden Zeitungen gelesen zu haben, dass Ludwig Erhard nie Mitglied derChristlich Demokratischen Union gewesen ist. Anderenfallsmüsste er posthum seinen Austritt erklären. Er würdesich im Grabe herumdrehen, wenn er dieses Geeiere heute Morgenerlebt hätte.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt an dieser Stelle nureine klare Position: Lohnsetzung ist kein Handlungsfeld derSozialpolitik. Das muss unmissverständlich klar sein. Ichdenke, man hätte von dem Kollegen der Union erwartendürfen, das hier klar und unmissverständlich zusagen.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Also, klarer ging’s nicht!)

Herr Kollege Brauksiepe, daswar eben keine Pöbelei. Wenn Sie das so empfunden habensollten, dann bitte ich Sie ausdrücklich umEntschuldigung.

(Dr. Ralf Brauksiepe(CDU/CSU): Ist in Ordnung!)

Ich bin doch froh, dass Sie Einsicht in einensehr grundlegenden Sachverhalt gezeigt haben.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Kolb, erlauben Sie eineZwischenfrage des Kollegen Göhner?

Dr. Heinrich L.Kolb (FDP):

Sehr gerne.

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Göhner.

Dr. ReinhardGöhner (CDU/CSU):

Herr Kollege Kolb, da Sie sich Sorgen um dieposthume Mitgliedschaft von Ludwig Erhard machen, darf ich Siefragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Grundlagen für dasMindestlohngesetz von 1952 und für die gesetzlichen Regelungendes Tarifvertragsgesetzes in der heutigen Form zu Ludwig ErhardsZeiten geschaffen wurden, das Entsendegesetz jedoch zu der Zeit,als die FDP an der Regierung war?

Dr. Heinrich L.Kolb (FDP):

Wir als FDP haben beispielsweise auch diebetriebliche Mitbestimmung mit aus der Taufe gehoben, weil wir unsals liberale Partei durchaus auch den Arbeitnehmerinteressen verpflichtetfühlen.

(Beifall bei der FDP)

Ich gehe davon aus, dass Ludwig Erhard andiesen Maßnahmen unter dem Bundeskanzler Konrad Adenauermitgewirkt hat und dass ein Bundeskanzler Ludwig Erhard so etwasnicht getan hätte.

(Gitta Connemann (CDU/CSU):Das war schwach!)

Deswegen glaube ich, bei der Beurteilung, dieich hier abgegeben habe, sehr wohl bleiben zu können.

(Klaus Brandner (SPD): Er hatSie aber ganz schön aus dem Konzept gebracht!)

Ich möchte feststellen,dass Herr Kollege Brauksiepe hier einen wichtigen und grundlegendenSachverhalt deutlich gemacht hat: Auf Dauer kann kein Unternehmeneinen Lohn zahlen, der die Wertschöpfung, die mit der erbrachtenLeistung korrespondiert, deutlich übersteigt.

(Dr. Ralf Brauksiepe(CDU/CSU): Das hätten Sie mir gar nicht zugetraut!)

- Das finde ich sehr bemerkenswert, HerrKollege Brauksiepe. Aber daran muss sich konkretes Handelnanschließen. - Also, der Lohn kann nur so hoch sein wie derWert der produzierten Güter und Dienstleistungen nach Abzugder Kosten für Material, Energie usw. Der größteEinzelposten ist in der Regel der Lohn.

Nun ist interessant, dassForderungen nach Mindestlöhnen nur für ortsgebundene Branchen erhoben werden. Eskäme keiner auf die Idee, in einer Branche, die sehr starkexportorientiert ist, die Forderung nach Mindestlöhnen zuerheben, weil vollkommen klar ist, dass der Absatz der Güterund Dienstleistungen erschwert würde. DiePreiserhöhungen, die den Lohnerhöhungen notwendig folgenmüssten, sind nämlich nicht durchsetzbar, und deswegensind exportorientierte Branchen in der Regel außen vor.Interessanterweise sind auch Importbranchen außen vor. Ichjedenfalls kenne keine Forderung, Einfuhrzölle in bestimmtenBranchen zu erheben, wenn Produkte nach Deutschland eingeführtwerden, die zu deutlich niedrigeren Lohnkosten erzeugt werden, alsdas in Deutschland der Fall ist.

Die Forderung kommt alsoinsbesondere dann, wenn in bestimmten Branchen unbedingt inDeutschland ortsgebunden produziert werden muss oderDienstleistungen erbracht werden müssen, also im Einzelhandel,im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Land- undForstwirtschaft, im Erwerbsgartenbau, im Friseurhandwerk, beiPostdienstleistungen, in der Floristik und in vielen anderenBranchen mehr. Man kann das schön im Antrag der Grünennachlesen. Nur muss ich hier klar sagen, dass das auch in diesenFällen nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen ist. DerSachverständigenrat hat in seinem aktuellen Jahresgutachtensehr deutlich gemacht, dass auch in diesem Fall absoluteWohlstandsverluste die Folge vonMindestlöhnen sind und wir alle, also auch Arbeitnehmer inanderen Branchen, die Zeche zahlen, die mit der Einführung vonMindestlöhnen in solchen ortsgebundenen Branchen verbundenwäre. Deswegen sind Mindestlöhne Gift, und zwar ohne Wennund Aber,

(Beifall bei der FDP)

sowohl gesetzliche als auch tarifliche odersolche, die im Wege des Entsendegesetzes fürallgemeinverbindlich erklärt werden. Wir sollten die Fingerdavon lassen. Die Väter des Grundgesetzes haben dieTarifautonomie aus gutem Grund in dasGesetz geschrieben, weil sie sehr wohl gesehen haben, wasgeschieht, wenn sich die Politik in die Lohnfindung einmischt. FrauKollegin Pothmer, ich möchte mir keinen Wahlkampf vorstellen,in dem nach dem Motto ?Wer bietet mehr?“ nicht nur7,50Euro, sondern 8,10Euro oder 9,20Euro inpolitischen Programmen gefordert werden. Die Folge wäre einmassiver Verlust von Arbeitsplätzen in unserem Lande geradebei den Geringqualifizierten. Das können und dürfen wirnicht wollen.

(Beifall bei der FDP)

Es bleibt noch ein Punkt. Es wird gesagt:Anständiger Lohn füranständige Arbeit. Wer Vollzeit arbeitet, muss auch von seinerArbeit leben können. - Was heißt das eigentlich, HerrMüntefering? Wer alleine lebt, kann mit einemBruttostundenlohn von 6,50Euro oder 7Euro klarkommen,aber für jemanden, der verheiratet ist und Kinder hat,bedeutet vom Verdienst leben zu können, einenBruttostundenlohn von 12Euro oder 12,50Euro erzielen zumüssen, wenn ich das richtig gerechnet habe. Das heißtdoch, dass sich eine künftige Lohnfindung an denpersönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers ausrichtenmüsste, wenn man diesen Gedanken zu Ende denken würde.Das kann nicht sein. Auch hier gilt: Das Gegenteil von gut ist gutgemeint. Ich unterstelle, dass Sie alle beste Absichten haben. Aberim Ergebnis führt eine solche Politik in die Irre. Deswegenkann ich nur noch einmal sagen: Hände weg vom Mindestlohn!

(Beifall bei der FDP)

Der Weg, den die FDP inihrem Antrag aufzeigt, ist der richtige. Wir sollten nichtüber Mindestlöhne reden, sondern über Mindesteinkommen. Wer von seinem Einkommen nichtleben kann, wem durch seine Arbeit netto nicht genügendverbleibt, um seinen Bedarf zu decken, hat Anspruch auf einenTransfer, den ihm die Gemeinschaft der Steuerzahler gewährenmuss. Das ist nicht ehrenrührig. Das entspricht vielmehr denGrundprinzipien unseres Sozialsystems, die wir in anderen Bereichennicht nur akzeptieren, sondern regelmäßighochpreisen.

Unterstützen Sie denAntrag der FDP! Schaffen Sie die Voraussetzungen für mehrLohnspreizung, mehr Mitwirkung in den Betrieben und mehrArbeitsplätze! Sorgen Sie zusammen mit uns dafür, dass inDeutschland ein Bürgergeldeingeführt wird, das den Transfer erbringt, durch den dieMenschen das haben, was sie brauchen. Das ist eine Sozialpolitikmit Augenmaß. Dafür treten wir ein.

Ich danke Ihnen fürIhre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - KlausErnst (DIE LINKE): Lohndrücker!)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Bundesminister FranzMüntefering.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

FranzMüntefering, Bundesminister für Arbeit undSoziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bedanke mich bei den Antragstellern für dieMöglichkeit, hier über das Thema zu diskutieren. Daspasst gerade gut; denn der Stand der Dinge ist so, dass eine guteInformation nützlich ist. Deshalb hätten Sie aber nichtso viel Unsinn in Ihren Antrag hineinschreiben müssen, HerrKolb. Das wäre auch anders möglich gewesen.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihren einfältigen Hinweis darauf, dassStundenlöhne nicht davon abhängen, ob jemand verheiratetist oder nicht, Kinder hat oder nicht - das wusste ich auch vorherschon.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da bin ich mir nicht sosicher!)

Also, die Frage zum Schluss war wahrscheinlichdoch nicht so ganz ernst gemeint.

Wir haben in langenDiskussionen zwei Probleme im Niedriglohnbereich in Deutschlandherausgearbeitet, die auch unbestritten sind. Die Lohnspreizung ist groß. Es gibt zunehmendMenschen, die einen so niedrigen Lohn haben, dass sie davon nichtleben können. Deshalb zahlt der Staat zunehmend Löhneindirekt. Für Verheiratete und Arbeitnehmer mit Kindern gibtes - darauf haben Sie abgehoben - immer Sozialtransfers; das ist völligunbestritten. Aber immer mehr ist es so, dass, so zum Beispiel beiPostdiensten, die zu Billigstbedingungen Post verteilen - Stichwort?billige Briefmarken“ -, der Staat mit seinem Sozialtransfersdie Löhne ersatzweise zahlt. Das ist auch unter demGesichtspunkt der Verbraucherpolitik nicht vernünftig. Dort,wo Löhne und Preise - beispielsweise beim Friseur - so niedrigwerden, dass anschließend die Gemeinschaft aller aus derSteuerkasse den Rest der Löhne zahlen muss, ist das einVerstoß gegen ?normale“ Ordnungspolitik. Das hat mitsozialer Marktwirtschaft und vernünftiger Ordnungspolitiküberhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Allen, die sagen, der Staatmüsse zuzahlen, sage ich: Leute, überlegt es euch nocheinmal genau! Diese Staatslohnphilosophie führt in die Irre.Wenn man Ihren Antrag genau liest, stellt man fest: Sie sagen imGrunde nichts. Wenn die Löhne nun einmal so niedrig sind, wiesie sind, dann muss nach Ihrer Vorstellung ein Bürgergeld -ein schöner Name - aus der Staatskasse gezahlt werden. Woherdenn eigentlich sonst? Aber das kann nicht sein. Eine sozialeMarktwirtschaft muss den Anspruch an sich selbst haben, dass dieProduktivität der Menschen so hoch ist, dass sie so vielverdienen, dass sie davon auch leben können. Das muss das Zieleiner vernünftigen sozialen Marktwirtschaft sein.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Inzwischen gibt es in Deutschland etwa2,5Millionen Menschen - Tendenz steigend -, die nichtarbeitslos sind, also ArbeitslosengeldII bekommen. SeitEinführung dieses Instruments sind es 800000 mehrgeworden. Ursprünglich waren es 1,7 Millionen. Die Zahlderjenigen, die arbeitslos sind und ArbeitslosengeldIIbekommen, sinkt dagegen. Die Belebung auf dem Arbeitsmarkt wirkt.Aber es gibt zunehmend mehr Menschen, die beschäftigt sind undtrotzdem ergänzend ArbeitslosengeldII bekommen. Daruntersind etwa 500000 Vollbeschäftigte, eine Reihe vonTeilzeitbeschäftigten, 80000 Selbstständige und dieAufstocker, bei denen das ArbeitslosengeldI nicht hoch genugist. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Die Diskussiondarüber, ob wir 21,4Milliarden oder 25MilliardenEuro für passive Leistungen im Rahmen desArbeitslosengeldesII ausgeben, hat damit zu tun. Wie vielmuss denn eigentlich gezahlt werden? Und wer zahlt diese Löhnenicht so hoch wie sie eigentlich sein müssten? Darüberhaben wir diskutiert. Wir haben fünf Lösungsansätze, die ich in allerKürze beschreiben möchte:

Erster Lösungsansatz:Angebot an alle Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu kommen. Wirkönnen keinen dazu zwingen; das wollen wir auch nicht. DasAngebot gilt aber für alle. Sie müssen versuchen, diedafür erforderlichen Strukturen herzustellen. Ich möchte,dass wir Anfang des nächsten Jahres dann in einem großenGesetz möglichst viele Branchen in dasArbeitnehmer-Entsendegesetz aufnehmen können und es so inBezug auf die Dienstleistungsrichtlinie, die 2009 kommen wird,sichern können.

Wir werden sehen, welcheBranchen die Aufnahme beantragen werden. Einige kenne ich schon;die haben sich schon bei mir gemeldet. Es melden sich übrigensnicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber. Das zweiteProblem, das ich vorhin nicht angesprochen habe, ist nämlich,dass es ganz viele Arbeitgeber gibt, die einen ordentlichen, fairenLohn zahlen und sagen: Es kann doch nicht sein, dass irgendeinermit Lohndumping mich als Unternehmer untergräbt. - Da kamenArbeitgeber aus der Wachdienstbranche zu mir und sagten: Wir wollenunseren Leuten anständige Löhne, 7Euro, zahlen. Wassollen wir aber machen, wenn ein anderes Unternehmen die Arbeitfür 2,50Euro macht? - Arbeitgeber und Arbeitnehmerwollen also in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommenwerden.

Unser Angebot gilt füralle Branchen: Sie sollen im Verlauf dieses Jahres klären, obsie in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden wollen;dann müssen sie die strukturellen Voraussetzungen dafürschaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen Verträgeschließen. Wir beeinflussen die Tarife überhauptnicht.

Das läuft wie bei denGebäudereinigern. Arbeitgeberund Arbeitnehmer dieser Branche sind zu uns gekommen und habengesagt: Macht den Tarif von 7,87Euro im Westen und6,36Euro im Osten allgemeinverbindlich. Das haben wir danngemacht. So läuft das ab. Instrument Nr.1 ist also, eintariflicher Mindestlohn, wie ich esimmer genannt habe.

Instrument Nr.2:Kombilöhne. Ja, es gibtMenschen, die aus verschiedenen Gründen nicht produktiv genugsind. Da sagen wir: Wir zahlen dazu. Bei schwervermittelbarenJugendlichen unter 25Jahren sagen wir: Arbeitnehmer, stellden Jugendlichen ein, wir zahlen zwei Jahre lang einen sogenanntenQualifizierungskombi. Bei den Älteren gibt es die Initiative?50plus“: Wir zahlen dir, Arbeitgeber, einen Zuschuss;nimm ihn. Stichwort sozialer Arbeitsmarkt: Es gibt Hunderttausendevon Schwervermittelbaren. Wir sagen den Städten undSozialverbänden diesbezüglich: Nehmt sie, wir zahlen euchetwas dazu. - Das ist eine Frage der Produktivität. Dannstimmt das auch wieder.

Instrument Nr.3: Wirversuchen, zu erreichen, dass möglichst wenig Menschen in dieHilfsbedürftigkeit rutschen. Das betrifft die Frage nach demZuverdienst. Was ist mit denen, die700Euro, 800Euro, 900Euro, 1°000Eurooder 1200Euro haben und die zur Arge kommen und sagen:Ich muss noch Geld dazu haben? Denen sagen wir: Bleibt weg, bleibtaus der Hilfsbedürftigkeit raus! Wir geben euch einenErwerbstätigenzuschuss. Bei einem Lohn von 800Euro Lohnbeträgt er 20Prozent. Der Zuschuss sinkt degressiv ab.So können sie aus der Hilfsbedürftigkeit rausbleiben. Dasist die Idee, die beim Kinderzuschlag schon dagewesen ist. Wirwollen mit dieser Maßnahme erreichen, dass möglichstviele Familien oder solche, die in die Nähe derHilfsbedürftigkeit rutschen, draußen bleibenkönnen. Das wird noch zu präzisieren sein. Darüberreden wir noch im Einzelnen. Aber der Gedanke ist doch nichtfalsch, zunächst einmal den Menschen zu helfen, gar nicht indie Hilfsbedürftigkeit zu rutschen, auch eine Vermögennachweisen zu müssen, auch keineSchonvermögensproblematik zu haben, sondern die Leutedraußen zu halen.

(Beifall bei der SPD)

Der Kinderzuschlag muss hierbei eine ganzbesondere Rolle spielen.

Punkt4: Sittenwidrigkeit. Dazu gibt es eineRechtsprechung in Deutschland. In der Tat gibt es dabei einProblem. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Lohns wirdnicht geschaut, wie hoch oder niedrig ein Lohn ist, sondern nur, inwelchem Verhältnis er zu dem steht, was vereinbart war bzw. zudem, was ortsüblich ist. Da gibt es große Schwankungen.Der Spitzenkoch, der einen Anspruch auf einen Lohn von 50°Euroin der Stunde hat, kann sagen: Mein Lohn, der bei 30Euroliegt, ist sittenwidrig. Die Friseuse, die für 3,20Euroarbeitet, kann sagen: Solange mein Lohn nicht unter 2,20Eurorutscht, ist er nicht sittenwidrig. Da sagen wir alle: Das kann sonicht sein. Ich bin dafür, dass man definiert, wasunangemessen niedrige Löhne sind. Wir müssen deutlichdarüber sprechen, wie hoch der Lohn wenigstens sein muss,unter welche Schwelle der Lohn nicht rutschen darf.

Damit komme ich zum Punkt Nr.5: dieMindestlöhne. Wir sagen: Wennman das Konzept des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes hat - so, wie iches eben beschrieben habe -, wird es Lücken geben. DieGröße dieser Lücken kann man heute noch nichtabschätzen. Werden 10Prozent der Branchen darunterfallen oder werden es 90Prozent sein? Ich weiß esnicht. Und dann werden wir einen Auffangmindestlohn machen, derdiese Lücken schließt.

(Dirk Niebel (FDP): Wer ist?wir“? Die Regierung oder die SPD?)

- Ich werbe hier dafür. - DieserMindestlohn muss sich an den Eckpunkten des Einkommens einesalleinstehenden, kinderlosen Arbeitslosengeld-II-Empfängers,von netto auf brutto gerechnet, orientieren. Da derjenige, derarbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, kommtein Plus von xProzent oben drauf. Dann kommen wir auf einenAuffangmindestlohn, der dafür sorgt, dass die im Systembestehenden Lücken geschlossen werden.

Da gibt es noch vieleFragezeichen; man bräuchte länger, um das im Einzelnen zuerklären; ich wollte versuchen, Ihnen den Gesamtzusammenhangdarzustellen, wie wir das sehen und wie wir das vorantreibenmöchten. Man wird in den nächsten Monaten sehen, woraufdas hinausläuft. Ich glaube, dass die lange Diskussion, diewir darüber geführt haben, sich gelohnt hat und nochlohnt. Man hat viel dazugelernt. Das ist auch gut, dass man dann inein Stadium kommt, in dem man das, was man vereinbart hat, wasgemeinsam in der Koalition möglich ist, auch zu einem gutenErgebnis führt. Ich bin da zuversichtlich. Denn über dieZiele, die ich eben beschrieben habe, sind wir uns in diesem Hauseigentlich alle einig: Es kann nicht sein, dass - jenseits allerFragen der Produktivität - manche Löhne in Deutschland soniedrig sind, dass derjenige, der für einen niedrigen Lohnarbeitet, sich fragen muss, weshalb er überhaupt jeden Morgenum halb sechs aufsteht, während andere in der Nachbarschaftliegen bleiben können. Außerdem dürfen dieUnternehmen, die ordentliche Löhne zahlen, nicht die Dummensein. Deswegen sind Formen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes undeines Auffangmindestlohnes vernünftige Ansätze, um diesesProblem insgesamt sinnvoll zu regeln.

Ich bedanke mich fürIhre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr.Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin UllaLötzer von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei derLINKEN)

Ulla Lötzer(DIE LINKE):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!Der tarifliche Stundenlohn eines Zimmermädchens imHotelgewerbe würde etwa 7 bis 8Euro betragen. Trotzdemgibt es viele Zimmermädchen, zumBeispiel in Köln, die mit 3 bis 4Euro die Stundeabgespeist werden. Die Hotelketten haben mehr als die Hälftedes Reinigungspersonals ausgegliedert und vergeben die Reinigungjetzt an Firmen. Die Beschäftigten erhalten real1,78Euro bis 2,50Euro pro Zimmer. Für ein Zimmerbrauchen sie 30 bis 40Minuten. Bei zehn bis zwölfStunden am Tag und sieben Tagen in der Woche bringen sie demnach700Euro brutto im Monat nach Hause. Das ist dieRealität. Wir sagen: Das ist ein Skandal, dem mit einemgesetzlichen Mindestlohn Abhilfe geschaffen werden muss.

(Vorsitz:Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Ihre Aussage, Herr Niebel,wir bräuchten dringend Lohnspreizung, bzw. Ihre Forderung nacheinem funktionsfähigen Niedriglohnsektor in Deutschland istgenauso ein Skandal wie der Lohn des Zimmermädchens.

(Beifall bei derLINKEN)

Herr Kolb, Sie haben mit demSachverständigenrat gesagt, Konsequenz eines Mindestlohnsseien Wohlfahrtseinbußen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):So ist es!)

Ich frage Sie: Welche Wohlfahrtseinbußenhätte denn dieses Zimmermädchen, wenn ein gesetzlicherMindestlohn eingeführt würde?

(Beifall bei der LINKEN - Dr.Heinrich L. Kolb (FDP): Ich habe von Wohlfahrtsverlusten derArbeitnehmer in den anderen Branchen gesprochen, FrauKollegin!)

Welche ?Wohlfahrt“ hat diesesZimmermädchen bei 700Euro brutto im Monat? Das ist einHungerleben und keine Teilhabe an Wohlfahrt.

(Beifall bei derLINKEN)

Erst mit einem gesetzlichen Mindestlohnwürde ihr ein Leben in Würde ermöglicht. Das giltfür das Zimmermädchen, das gilt für die Friseuse inSachsen, das gilt für viele Frauen. Denn Frauen sind bereitsjetzt die Hauptverlierer dieser Niedriglohnpolitik: Ihr Anteil ander Gruppe derer, die Armutslöhne beziehen, beträgt70Prozent.

Sie behaupten auch jetztwieder, ein Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze.

(Zuruf von der FDP:Stimmt!)

Dabei können Hotels nicht abwandern,genauso wenig wie Friseure. Viele Bereiche, in denenArmutslöhne gezahlt werden, sind vom Binnenmarktabhängig.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):Aber es gibt Schwarzarbeit, Frau Kollegin Lötzer!)

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Eingesetzlicher Mindestlohn würde Unternehmen vorSchmutzkonkurrenz schützen, die Wettbewerb nicht überQualität und Innovation führen will, sonderndarüber, wer die niedrigsten Löhne zahlt.

(Beifall bei derLINKEN)

Und - auch das ist Realität, Herr Pofalla-: Deutschland ist jetzt schon dasLohndumpingland in Europa. Deshalbverzeichnet Deutschland Monat für Monat, auch imJahre2007, wachsende Exportüberschüsse und setztdie anderen westeuropäischen Länder dadurch unterDruck.

Die Deutsche Bundesbank hatkürzlich davor gewarnt, dass erneut ein europaweiterLohnsenkungswettlauf zu erwarten sei, da Italien, Frankreich undSpanien dieser Entwicklung nicht länger nur zusehenwürden. Statt dem entgegenzuwirken, wollen Sie dafürsorgen, dass Deutschland für die Unternehmen in Europa zumDumpingparadies wird.

(Beifall bei Abgeordneten derLINKEN)

Dieser Dumpingwettlauf könnte durch dieEinführung eines gesetzlichenMindestlohns in Deutschland begrenzt werden. Das wäreim Hinblick auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlandsverantwortungsvoll und würde im Interesse der Menschen inDeutschland liegen.

(Beifall bei derLINKEN)

Kollege Heil, nun komme ichzu Ihnen. Über Ihre Bekenntnisse zur Mitbestimmung und zurTarifautonomie freuen wir uns. Wir stimmen Ihnen zu. Aber Sienennen keine Maßnahmen, mit denen Sie diese Rechtestärken bzw. ihnen zur Durchsetzung verhelfen wollen. Wobleibt die Einführung eines Verbandsklagerechts fürGewerkschaften, das dazu beitragen könnte, dass sie wiederkampffähig werden, um sich für Tariflöhne oberhalbvon 3 bis 4Euro einzusetzen?

(Beifall bei derLINKEN)

Wo bleiben Maßnahmen gegenMassenentlassungen trotz großer Profite, in deren Rahmen Siezum Beispiel die Mitbestimmungsmöglichkeiten derBeschäftigten stärken könnten? Wo bleibenMaßnahmen, durch die die soziale Verantwortung derUnternehmen wiederhergestellt wird? Bei Bekenntnissen dürfenwir nicht stehen bleiben. Wenn man die Mitbestimmungsrechte ernstnimmt, ist Handeln gefragt.

(Beifall bei derLINKEN)

Genauso verhält es sichmit dem gesetzlichen Mindestlohn. Der SPD-Bürgermeister vonBremen kündigt öffentlich eine Bundesratsinitiative zurEinführung eines Mindestlohns in Höhe von 7,50Euroan; das macht sich im Wahlkampf natürlich gut. Sie führeneine Unterschriftensammlung durch, obwohl aus allen Umfragendeutlich hervorgeht, dass die Mehrheit der Bundesbürger dieEinführung eines Mindestlohns befürwortet. Damit das keinWahlkampfgeklingel bleibt - das hätten die betroffenenMenschen nämlich nicht verdient -, sind allerdingsMaßnahmen notwendig.

Ich habe Ihnen sehraufmerksam zugehört, Herr Kollege Müntefering. Aber voneinem existenzsichernden Mindestlohn habe ich in Ihrer Rede nichtsgehört.

(Andrea Nahles (SPD): Dannhaben Sie wohl doch nicht so genau zugehört! - Dr. Heinrich L.Kolb (FDP): Von einem Auffanglohn war da die Rede!)

Das Entsendegesetz ersetzt ihn nicht. Siesprachen von einem Auffanglohn. Das klingt sehr stark nach einemArmutslohn bzw. nach sittenwidrigen Löhnen, nicht aber nacheinem existenzsichernden Mindestlohn. Hier wäre eineKlarstellung im Hinblick auf die Höhe des Mindestlohnsnotwendig.

(Beifall bei derLINKEN)

Liebe Kolleginnen undKollegen, wir werden Ihnen morgen die Chance geben, über denText Ihrer Unterschriftensammlung abzustimmen und deutlich zumachen, dass Sie zu Ihrer Forderung stehen. Nehmen Sie diese Chancewahr.

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin.

Ulla Lötzer(DIE LINKE):

Ich bin sofort am Ende.

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Bitte.

Ulla Lötzer(DIE LINKE):

Sie werden doch wohl nicht an die Menschenappellieren, eine Forderung zu unterschreiben, zu der Sie selbst imParlament nicht stehen. Wir können zum diesjährigen1.Mai ein gutes Signal geben -

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, schauen Sie bitte auf die Uhr.Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen. Ich bitte Sie, zumEnde zu kommen.

Ulla Lötzer(DIE LINKE):

- und 2,5Millionen Menschen und ihrenFamilien ein Leben in Würde ermöglichen.

Danke.

(Beifall bei derLINKEN)

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger,CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei derCDU/CSU)

Max Straubinger(CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen undKollegen! Wir führen heute wieder eine Debatte über dieEinführung von Mindestlöhnen, über die Ablehnung vonMindestlöhnen, über die Einführung einesBürgergeldes, über existenzsichernde Löhne unddergleichen mehr. Darüber haben wir in diesem Hohen Hauseschon sehr häufig diskutiert. Wir führen diese Debatteauch deshalb, weil es in verschiedenen Bereichen Fehlentwicklungengegeben hat, zum Beispiel im Hinblick auf die Einkommen derBürgerinnen und Bürger. In unserer Gesellschaft habenproblematische Entwicklungen stattgefunden, die dieses Themabefördert haben.

Wir alle sind uns in diesem Hause einig, dassdie Menschen durch eigener Hände Arbeit ein Einkommen erzielenmüssen, das es ihnen ermöglicht, ein gutes Leben zuführen. Dies ist aber nicht allen Menschen in unserem Landemöglich. Deshalb haben wir in den verschiedensten Bereichenein sehr ausgefeiltes soziales Sicherungsnetz geschaffen. Diesessoziale Sicherungsnetz fängt die Menschen auf, sodass sie eingutes Leben führen können. Die Lohnpolitik kann nie dieSozialpolitik ersetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU undder FDP)

Dies sollte man zu bedenken geben und inDiskussionen auch berücksichtigen.

In unserem Land haben wir2,5Millionen ALG-II-Bezieher.Der Bundesminister hat das bereits aufgeführt. Vor derZusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, also vor denHartz-Reformen, hatten wir 1,7Millionen Bezieher. Man kannalso festellen, dass die Zahl der Bezieher gestiegen ist.Möglicherweise liegt das daran, dass der soziokulturelleMindestbedarf angehoben wurde und deshalb mehr Menschen in dieHilfebedürftigkeit geraten sind.

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, jetzt muss ich Sie trotzdemfragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen.

Max Straubinger(CDU/CSU):

Ja.

Dirk Niebel(FDP):

Vielen Dank. - Herr Kollege Straubinger, Siehaben ja eben sehr anschaulich dargestellt, wie Lohnfindung undSozialpolitik in Deutschland aufgestellt sind. Der Bundesministerhat in seiner Rede vor Ihnen sein Konzept eines Auffangmindestlohnes erklärt.

Können Sie mir vor demHintergrund dessen, was Sie völlig richtig definiert haben,erklären, worin der Unterschied zwischen einem gesetzlichfestgelegten Auffangmindestlohn und einem gesetzlich festgelegtenMindestlohn besteht? Außer im Hinblick auf den Wortanfang?Auffang“ ist mir eigentlich nicht wirklich erklärbar,worin der Unterschied bestehen soll.

Max Straubinger(CDU/CSU):

Ich bin nicht für die Definitionen dessenzuständig, was der Herr Minister gesagt hat. Es wärebesser, den Herrn Minister dazu zu fragen.

(Dirk Niebel (FDP): Dashätte ich ja gerne getan, aber er wollte ja nicht!)

Ich glaube aber, dass wirmit gesetzlichen Mindestlöhnen letztendlich keine gute Basisschaffen.

Der Kollege Heil hat sichhier für die Tarifautonomieausgesprochen, die wir alle schätzen. Ich glaube, dassDeutschland mit der Tarifautonomie sehr gut gefahren ist. Auch dieBürgerinnen und Bürger sowie die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer konnten aufgrund der Tarifautonomie von demProduktivitätszuwachs profitieren, und ich bin davonüberzeugt, dass dies bei den aktuellen Tarifverhandlungenzusätzlich zum Ausdruck gebracht werden wird. Deshalb bin ichder Meinung, dass es einer gesetzlichen Definition einesMindestlohnes nicht bedarf.

(Dirk Niebel (FDP): Dankeschön!)

- Bitte schön.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

Ich bin davonüberzeugt, dass wir eine vernünftige Sozialpolitikletztendlich nicht über einen Mindestlohn absichernkönnen und sollten und dass wir manchen Dingen hier in denDebatten eine zu große Aufmerksamkeit widmen. In unserem Landgibt es fast 40Millionen Erwerbstätige. Ganze150000 davon - das ist für den Einzelnen sicherlichbedauerlich - erhalten einen Stundenlohn von unter 4,50Euro.Ganze 600000 haben einen Stundenlohn von unter 6Euro.Dieser Betrag kommt dem nahe, was der Herr Bundesminister zumSchluss ausgeführt hat.

Hier ist meines Erachtensdie Sozialpolitik letztendlich dasAuffangnetz. Aufgrund der einzelnen Mechanismen, die wir entwickelthaben, werden entsprechende Zuschüsse gegeben, weil dieProduktivität des Einzelnen - vielleicht aufgrund seinerfamiliären Situation - nicht steigen kann. Manch einer hatvielleicht aus anderen Gründen nicht die Möglichkeit,einen gut bezahlten Job auszuüben. Vielleicht hatte er nichtdie Gelegenheit, einen Beruf zu erlernen. Das ist eben oft so. Dienatürlichen Anlagen sind unterschiedlich.

Dann ist aber dieSozialpolitik gefordert. Wir können das nicht durch dieLohnpolitik zum Ausgleich bringen.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Deshalb glaube ich, dass esunter sachlichen Gesichtspunkten durchaus vernünftig ist,gesetzlichen Mindestlöhnen eine Absage zu erteilen.

Ich sage aber auch ganzdeutlich, worauf die Kollegen Brauksiepe und Pofalla sowie vieleandere Vorredner schon hingewiesen haben: Es darf keinesittenwidrigen Löhne geben. Es darf auch keine zu niedrigenLöhne geben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist aberAuftrag der Tarifparteien, dafür zu sorgen, dassNiedrigstlöhne, die wohlgemerkt Tarifabschlüsse sind unddie wir heute beklagt haben, in Ordnung gebracht werden. Hierkönnen wir nur die Tarifpartner auffordern, eine untereAuffanglinie einzuführen bzw. mit zu erarbeiten. Ich glaube,dass dies ein vernünftiger und auch gangbarer Weg ist. Ichglaube nicht, dass gesetzliche Regelungen der Weg sind, den sichmanche in diesem Hohen Hause vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU -Hubertus Heil (SPD): Sehr viele!)

Bei allen Regelungen, diewir treffen könnten, ist meines Erachtens für dieBürgerinnen und Bürger entscheidend, dass dieRahmenbedingungen der Wirtschaftzusätzlich verbessert werden. Wir haben heute bereits daraufhingewiesen, dass wir in diesem Land mehr als 1 Million Arbeitsloseweniger zu verzeichnen haben. Es besteht die berechtigte Aussicht,dass wir in diesem Jahr zusätzlich 400000sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnissehaben werden und dass der Abbau der Arbeitslosigkeit weitervoranschreitet. Das ist ein großer Erfolg der ergriffenenMaßnahmen dieser Bundesregierung.

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfragedes Kollegen Ernst?

Max Straubinger(CDU/CSU):

Ja.

Klaus Ernst (DIELINKE):

Herr Straubinger, ich habe mit Freude zurKenntnis genommen, dass Sie der Auffassung sind, dass dieTarifvertragsparteien die aus Ihrerund aus meiner Sicht zu gering geratenen Tariflöhne zukorrigieren haben. Diese Tarifabschlüsse sind auch Ausdruckder gegenwärtigen Kräfteverhältnisse zwischen denTarifvertragsparteien, die offensichtlich zuungunsten derGewerkschaften sind. Können wir von Ihnen nun ein Gesetzerwarten, das die Kampffähigkeit und dieDurchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften wieder stärkt,um ihrem Ziel näher zu kommen?

Max Straubinger(CDU/CSU):

Herr Ernst, ich glaube, dieKampffähigkeit und die Durchsetzungsfähigkeit derGewerkschaften sind sehr stark.

(Lachen bei der LINKEN -Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Das sieht man!)

Es gilt, die Mittelentsprechend einzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass inverschiedenen Bereichen Tarifverträge unter dem Gesichtspunktder regionalen Wettbewerbsfähigkeit abgeschlossen worden sind.Was nützt ein zu hoher Tarifabschluss, wenn letztlich dieArbeitsplätze verloren gehen und den Menschen die Chance,Arbeit zu finden, vollständig verbaut wird? Das ergibt dochkeinen Sinn.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Ich glaube, wir tun gutdaran, bei Tarifabschlüssen gerade im Osten Deutschlands mitBlick auf die Wettbewerbsfähigkeit dieses Raums dieregionalspezifischen Belange zu berücksichtigen. Ich bin davonüberzeugt, dass dies in sehr verantwortlicher Art und Weise inden Händen der Tarifpartner, der Arbeitgeber sowie derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, liegt.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU - Klaus Ernst (DIE LINKE): Mit anderen Worten: Nein!)

- Ich sehe keinen Anlass, dem hier eine neuegesetzliche Form zu geben.

Ich glaube, dass wir in denBereichen, über die wir in der Großen Koalition inZukunft zu diskutieren haben, zusätzliche Chancen für dieMenschen in unserem Land eröffnen werden. Der HerrBundesminister hat darauf hingewiesen. Ein Stichwort ist hier?Jugendliche mit geringerAusbildungsqualifikation“, für die vielleichtnoch andere Vermittlungshemmnisse bestehen. Diesen Jugendlichenwollen wir als Große Koalition eine besondere Präferenzgeben, um ihnen neue Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zueröffnen. Ich glaube, dies ist für die Bürgerinnenund Bürger und insbesondere für die langzeitarbeitslosenJugendlichen wichtig. Diese Große Koalition wird ihrerAufgabe und ihrer Verantwortung in jedem Fall gerecht werden.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Wir haben den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernbereits neue Chancen eröffnet. Das Stichwort lautet hier ?50plus“. Dieses Programm haben wir in diesem Hause schonbeschlossen. Die Flankierung des normalen Abbaus derArbeitslosigkeit durch diese Arbeitsmarktmaßnahme bedeutet,dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie in höheremAlter in Arbeitslosigkeit geraten sind, Chancen haben, wieder eineArbeitsstelle zu finden.

Ich bin überzeugt, dassdurch das Entsendegesetz, das auf dereinen Seite zum Teil kritisiert wird, auf der anderen Seite abervon vielen, die es heute kritisieren, gesetzlich herbeigeführtworden ist, Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt in denverschiedensten Bereichen verhindert werden können. Diesmüssen aber die Tarifparteien für sich selbsterklären und erarbeiten. Hier gilt das Gebot derFreiwilligkeit, wenn diese die Tarifpartner für sich selbsterklärt haben. Hier gibt es sicherlich manche Ansprücheaus dem Baubereich, aus vorgeschalteten Bereichen und auch vonHandwerkern, die sagen: Manche Allgemeinverbindlichkeit war in denvergangenen Jahren vielleicht nicht schlecht. Darüber gilt esnachzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass die GroßeKoalition die Kraft haben wird, solche zukunftsfähigenMaßnahmen in die Tat umzusetzen. Im Sinne derZukunftsfähigkeit unseres Landes und der Zukunftschancen derBürgerinnen und Bürger hat die Große Koalitionbisher eine gute Arbeit geleistet.

Herzlichen Dank für dieAufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSUsowie bei Abgeordneten der SPD)

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in dieser Debatte ist derKollege Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Klaus Brandner(SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner aus der SPD habenbereits eindeutig klargestellt, dass wir einen Mindestlohn wollen.Wir können die Verwerfungen am Arbeitsmarkt in diesem Landnicht einfach hinnehmen. Wir freuen uns, dass zum Beispiel auch dieGrünen sich dieser Überlegung angeschlossen haben. Wirfreuen uns, dass die Linke einen Antrag eingebracht hat - er stehtmorgen auf der Tagesordnung -, in dem auch sie sich dieserÜberlegung anschließt. Aber klar ist - um es hier vonvornherein ganz deutlich zu sagen -: Wir werden dieses Projekt mitunserem Partner in der Großen Koalition auf einemvernünftigen Weg durchbringen.

(Beifall bei der SPD und derCDU/CSU)

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfragedes Kollegen Niebel?

Klaus Brandner(SPD):

Ja, bitte.

Dirk Niebel(FDP):

Vielen Dank, Herr Kollege. - Sie haben Ihrepersönliche Meinung klar geäußert; das istanerkennenswert. Kollege Straubinger konnte mir vorhin eine Fragenicht beantworten, die der Ihrer Partei angehörendeBundesarbeitsminister aufgeworfen hat. Vielleicht können Siemir helfen, zu verstehen, was der Unterschied zwischen einemgesetzlich definierten Auffangmindestlohn und einem gesetzlichenMindestlohn ist.

Klaus Brandner(SPD):

Herr Niebel, Sie haben in Ihrem Antrag vonvornherein jede Form der Sicherung abgelehnt. Ich glaube kaum, dassSie ein ernsthaftes Interesse daran haben,

(Dirk Niebel (FDP):Doch!)

erklärt zu bekommen, dass wir in diesemLand eine Mindestauffanglinie brauchen, damit die Lohndrift nichtweiter zunimmt, damit das, was wir ernsthaft wollen, nämlicheinen gerechten Lohn für guteArbeit und dass diejenigen, die Vollzeit arbeiten, von ihrem Lohnauch leben können, erreicht wird.

(Dirk Niebel (FDP): Ichmöchte nur den Unterschied verstehen!)

Insofern definiert sich dieseGrößenordnung völlig klar von selbst. Wir befindenuns hier ja nicht in Tarifverhandlungen, sondern wollen im Hinblickauf den Lohn eine Größenordnung festlegen, die esermöglicht, dass diejenigen, die Vollzeit arbeiten, nicht nochzusätzlich ArbeitslosengeldII beanspruchen müssen.Unsere Ausgangsposition ist: Fairer Lohn für faire Arbeit!

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Das habe ichverstanden! Das war nicht die Frage! Ich habe nach dem Unterschiedgefragt!)

Der Grundsatz ?GerechterLohn für gute Arbeit“ trifft natürlich auchfür die Friseurin in Thüringen mit einem Stundenlohn von3,18Euro zu. Das trifft für Menschen imBewachungsgewerbe, in der Fleischindustrie, in der Gastronomie undbei der Post zu. Es gibt viele Bereiche, wo Lohndumping verhindertund bekämpft werden muss. Deshalb müssen wir mitgesetzlichen Maßnahmen eingreifen.

Heute ist gesagt worden, eingesetzlicher Mindestlohn sei ein Eingriff in die Tarifautonomie. Dies teile ich ausdrücklichnicht. Im Gegenteil: Wo Partner im Tarifvertragsgeschäftfehlen, wo überhaupt keine Partner vorhanden sind, da mussgerade der Staat helfend einspringen, damit die Tarifautonomieinsgesamt gesehen gesichert bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Es ist angesprochen worden,dass es gefährlich wäre, Mindestlöhneeinzuführen, weil das ein Wahlkampfthema sei und die Parteiensich gegenseitig hochschaukeln könnten. Ich glaube, gerademeine Fraktion hat dazu immer wieder deutlich gemacht, dass wireine unabhängige Kommission mitVertretern der Wissenschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen,die einen Vorschlag zur Höhe eines gesetzlichen Mindestlohnserarbeitet, damit die richtige Entscheidung getroffen werden kann.Solche Themen sind auch in anderen Ländern aus dem Wahlkampfherausgehalten worden. Insofern gibt es darauf eine klare,sachliche Antwort.

(Beifall bei der SPD)

Die Einführung einesMindestlohns sei nicht möglich, wurde gesagt, weil dieArbeitslosigkeit in unserem Land zuhoch sei. In anderen Ländern der EU wurden gerade erstMindestlöhne eingeführt. 20 der 27Mitgliedstaatender EU haben inzwischen einen gesetzlichen Mindestlohn; infünf Ländern gibt es flächendeckende tariflicheMindestlohnregelungen. Das heißt, wir sind auf diesem Gebietzwar kein Niemandsland, aber ein Entwicklungsland. Es ist dringendnotwendig, dass wir Änderungen vornehmen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN))

Wir haben keinen überreguliertenArbeitsmarkt; vielmehr ist es aus ordnungspolitischer Sichtnotwendig, dass der Staat in diesem Punkt eingreift.

Ich will in diesemZusammenhang auf den Vorwurf eingehen, dass wir wegen einer zustarken Überregulierung arbeitsmarktpolitisch nicht sehrerfolgreich sind. Welches Land in Europa hat im Nachkriegsvergleicheinen so starken Beschäftigungszuwachs und einen so hohenRückgang der Arbeitslosigkeit erreicht, wie wir es mit unsererArbeitsrechtsgesetzgebung im letzten Jahr geschafft haben? Das isteine hervorragende Bilanz, die gerade dafür spricht, dass wirsoziale Schutzrechte und Arbeitnehmerrechte brauchen. Sie sind eineUrsache dafür, dass wir ein wettbewerbsfähiges Land sind.Darauf sollten wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD sowiebei Abgeordneten der CDU/CSU)

Des Weiteren war die Rededavon, dass sittenwidrige Löhneverboten werden sollten. Sittenwidrige Löhne sind verboten;sie sind rechtswidrig. Man darf auf diesem Gebiet nichtrechtsunklar werden. Wir haben nichts dagegen, dass das in einemGesetz noch präziser definiert wird. Das ist aber kein Ersatzfür das, worüber wir diskutieren müssen. Das mussdeutlich werden.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Insofern will ich in derheutigen Mindestlohndebatte noch etwas ausführlicher auf denAntrag der FDP eingehen. Ich sage klar: Wir sind sehr fürWettbewerb; aber wir wollen keinenWettbewerb bei Dumping- oder Billiglöhnen, sondern zu fairenBedingungen. Ich glaube, das ist klargeworden. Wir wollen nicht,dass die Beschäftigten am Ende die Zeche alleine zahlen. Michärgert dabei die Widersprüchlichkeit vielerMindestlohngegner. Wir alle wollen nämlich eine hoheQualität bei den Dienstleistungen des täglichen Bedarfs.Wir alle wollen einen qualitativ hohen Service. Dann sind wir aberauch verpflichtet, den Menschen, die diese Dienstleistungenerbringen, einen anständigen Lohn zu zahlen.

(Beifall bei Abgeordneten derSPD und der CDU/CSU)

Deshalb trifft das DGB-Motto zum 1.Maiausdrücklich zu: ?Du hast mehr verdient!“. Den Kerndieses Anliegens teilen und unterstützen wir voll.

Man sollte sich dieMühe machen, in diesem Zusammenhang den FDP-Antrag genauer zu lesen. Er zeigt, mitwelcher Motivation und inneren Einstellung man an den Mindestlohnherangeht. Der Mindestlohn wird als Einfuhrzoll auf denausländischen Faktor Arbeit bezeichnet.

(Dirk Niebel (FDP): Das hatder Sachverständigenrat gesagt! Das ist ein Zitat! Das mussman klarstellen!)

Des Weiteren heißt es in dem Antrag,Menschen würden durch Mindestlöhne zu Opfern.Tarifverträge werden zum Sündenbock für dieArbeitslosigkeit erklärt.

Beim Lesen Ihres Antragsfällt einem - das sage ich deutlich - die Brille von der Nase.Wo bleiben bei Ihnen die Menschen? Wo bleiben die Menschen, dieeine Vollzeitbeschäftigung haben, aber von ihrem Einkommennicht einmal sich selbst, geschweige denn eine Familieernähren können? Menschen werden auf Waren undArbeitnehmer auf Kostenstellen reduziert. Das ist das wahre Gesichteiner reinen Marktwirtschaftspartei FDP.

(Beifall bei der SPD)

Die Realität in denBetrieben ist eine völlig andere. Dort sind Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter in erster Linie Ressourcen. Dass man Ressourcenpflegen und weiterentwickeln muss, dürfte auch bei der FDPbekannt sein. Dies geschieht aber nicht, indem man ihnen diefundamentalen Rechte nimmt, wie Sie es jetzt vorschlagen.

(Dirk Niebel (FDP): So einQuatsch!)

?Made in Germany“ istnicht ?Made in Billigland“. Hohe Qualität bedeutet hoherInnovationsgrad. Diesen fordern wir durch gut ausgebildete undhochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das Prinzipder sozialen Partnerschaft hat den Standort Deutschland erst zu demgemacht, was er heute ist, nämlich zu einem derwettbewerbsfähigsten in der Welt. Sozialpartnerschaft heißt, dass Arbeitgeberund Arbeitnehmer gemeinsam nach Lösungen suchen. Das ist einErfolgsrezept in unserem Land. Mit diesem Erfolgsrezept sind wirwettbewerbsfähig, und darauf können wir gemeinsam stolzsein. Wer das Prinzip der Sozialpartnerschaft auflösen will,wer Arbeitnehmer nur als Kostenfaktor sieht, wer die Gewerkschaftenschwächen will, der schadet dem Standort Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Um es konkret zu machen: DasPrinzip der fairen Sozialpartnerschaft gilt auch bei derTelekom. Deshalb sehen wir es sehrkritisch, wenn bestehende Verträge einseitig aufgekündigtund den Partnern Ultimaten gestellt werden. Das ist keinevertrauensvolle und konstruktive Gesprächsebene.

(Beifall der Abg. BrigittePothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Managementfehler dürfen nicht allein aufdem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden.

(Beifall bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Verträge und erst rechtTarifverträge sind dafür da, dass sie eingehalten werden.Für uns ist es jedenfalls keine nachhaltige Erfolgsstrategie,durch Auslagerung einzelner Unternehmensteile die Tarifbindungen zuumgehen. Tarifabschlüsse sind verbindlich, und zwar fürbeide Seiten.

(Beifall bei der SPD sowieder Abg. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Verlässlichkeit ist eine Grundvoraussetzungfür das Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Genauan dieser Stelle setzt die FDP mit ihren Forderungen noch einsdrauf; ein Blick in den Antrag genügt. Sie stellen daskomplette Tarifrecht schlichtweg infrage. Ich sage ganz deutlich:Das ist schon ein Hammer!

(Dirk Niebel (FDP): Siekönnen offenkundig nicht lesen, Herr Kollege!)

Sie fordern die Änderung desGünstigkeitsprinzips, die Auflösung derFlächentarifverträge, die Einschränkung derNachwirkung von Tarifverträgen und die Abschaffung derAllgemeinverbindlichkeit. Tarifverträge sollen nur noch einunverbindlicher Rahmen sein.

Ob Tarifverträgeeingehalten werden oder nicht, soll künftig der Arbeitgebermit dem Betriebsrat ausmachen. Man will mehr Entscheidungskompetenzin die Betriebe verlagern. Das istprima, könnte man meinen. Mehr Mitsprache beutet mehrMitbestimmung. Kann man dagegen etwas haben? Gleichzeitig werdenaber die Mitbestimmungsrechte abgebaut, werden die Tarifrechtebeschnitten und wird das Betriebsverfassungsgesetz alsbürokratisches Monster angesehen. Nicht mit uns! Um es klar zusagen: Es ist gut, dass die FDP in der Opposition ist und dieseForderungen nicht umsetzen kann.

(Beifall bei der SPD)

Es ist gut, dass die SPD in der Regierung ist.Denn - das will ich hier deutlich sagen - auf uns können sichdie Arbeitnehmer in diesem Land verlassen.

(Beifall bei der SPD)

VizepräsidentinDr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wirdÜberweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4864 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. DieVorlage auf Drucksache 16/5102 soll überwiesen werden zurfederführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit undSoziales und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaftund Technologie. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

[Derfolgende Berichtsteil - und damit der gesamte StenografischeBericht der 94. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den27. April 2007,
an dieserStelle veröffentlicht.]
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Author: Mrs. Angelic Larkin

Last Updated: 25/06/2023

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